: „Die sehen doch drömelig aus“
■ Heute beliebtes Fotomotiv, einst sehr umstritten: 40 Jahre Stadtmusikanten-Denkmal
Leserbriefe haufenweise hagelte es im Oktober 1953 nach der Aufstellung der Bremer- Stadtmusikanten-Plastik von Gerhard Marcks neben dem Rathaus. „Drömelig“ fand ein Leser die vier Viecher, „davor wäre bestimmt kein Räuber getürmt“. Den meisten waren die Figuren viel zu schlicht, nicht märchenhaft genug — Folge: Die Plastik mußte erst ein Jahr probestehen.
Dabei war der Wunsch nach einem Standbild der vier schrägen Musikanten groß gewesen. Schon 1938 schrieb Friedel Kipper an den Bürgermeister: „Da ich (...) jeden Tag die Bremer Stadtmusikanten verkaufe, muß ich immer wieder von jedem Fremden hier in Bremen hören: 'Wo stehen hier die Bremer Stadtmusikanten?' Es wäre doch sehr nett und auch für jeden Fremden hochinteressant (...), wenn hier in Bremen ein Standbild der Bremer Stadtmusikanten geschaffen würde.“ Als Standplatz schlug Friedel Kipper den Platz vor dem Hauptbahnhof vor. Das Hochbauamt allerdings befand, daß auf den prominenten Platz vor dem Hauptbahnhof eher Statuen von repräsentativeren Persönlichkeiten gehörten.
Solch Anekdoten kann man in einem soeben erschienenen Büchlein aus der Edition Temmen (100 farbige Abbildungen, 16.90 Mark) nachlesen. Es faßt die Nachforschungen von Andreas Röpcke und Karin Hackel- Stehr vom Staatsarchiv zusammen. Die beiden haben außerdem jede Menge Postkarten, Comics, Poster und Karikaturen über die Stadtmusikanten gesammelt und im Foyer des Staatsarchivs ausgestellt.
Noch ein Buch über die Stadtmusikanten? Naja, meinte gestern Herausgeber Horst Temmen, ein bißchen anders sei das Buch schon: Man habe die Stadtmusikanten mit einer „historischen Tiefenschärfe“ versehen wollen. Wer waren eigentlich die historischen Stadtmusikanten in Bremen, wird da zum Beispiel gefragt. Und wie wurden die Vier überhaupt zum Wahrzeichen der Stadt? Nach dem Erscheinen des Grimmschen Märchens nämlich (1819) genierten sich die BremerInnen ziemlich für dieses Bild Bremens in der Öffentlichkeit — schließlich handelt die Geschichte von zwar listigen, aber doch vor allem krakeelenden und abgewrackten Haustieren.
Heute ist sich die Märchenforschung einig, daß das Märchen von der Solidarität der Schwachen gegen die Starken erzähle. Zur Erinnerung: Vier auf ihren Höfen ausgemusterte Viecher hauen ab, bevor sie geschlachtet werden, wollen sich ihr Auskommen als Gesangsquartett verdienen — vielleicht in Bremen. Doch schon weit vorher sind sie müde und hungrig und vertreiben mit fürchterlichem Geschrei einen ganzen Räuberhaufen aus einem Räuberhaus.
Die Vier sind also gar nie nach Bremen gekommen. Erst die Silvestergruß-Postkarte eines malbegabten Bremer Lehrers, Gustav Steinke, von 1908, zeigt die vier Tiere mitten in der Stadt: Dirigiert wird das Gesangsqurtett von einem grinsenden Roland. Mit dem Aufkommen der Postkarten-und Souvenirartikel-Industrie Anfang des Jahrhunderts gibt es dann kein Halten mehr: Die Bremer Stadtmusikanten sind Sympathieträger geworden.
Heute werben Parteien (FDP und Grüne), die Asta-Mitfahrzentrale oder Hachez mit den gewitzten Tieren. Die Pyramide ziert schmiedeeiserne Gartentörchen, Teller und Handtücher. Sogar an die Marcks-Plastik hat man sich gewöhnt: Jedenfalls haben sich die Hinweisschilder an der Autobahn an dem Umriß genau dieser Plastik orientiert. Christine Holch
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