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Shakespeare verschaukelt

■ Ab heute zu Gast beim „Shakespeare Festival“: das gänzlich zirkusvernarrte „Gran Circo Teatro“ aus Chile

Was denken Sie sich eigentlich dabei, wenn Sie von den „Schwingen der Liebe“ lesen? Andrés Pérez jedenfalls nimmt sowas ganz wörtlich: Er setzt die Liebenden auf eine hohe Zirkusschaukel und läßt sie, himmelhoch jauchzend, durch die Lüfte segeln. Da kommt Shakespeare dem chilenischen Theaterregisseur gerade recht.

„Sein Werk ist so voller Bilder, voll genauer Regieanweisungen — die braucht man nur zu spielen.“ Und also übersetzt er „Was ihr wollt“ und „Richard II.“ in bildmächtige Spektakel, ja: circensische Attraktionen. Beides gibt Pérez' wirbelnde Truppe „El Gran Circo Teatro“ jetzt im Theater am Leibnizplatz zu bestaunen.

Dem Zirkus nämlich gilt die besondere Liebe von Pérez. „Ich mag die Atmosphäre und die familiären Bande“, sagt er. Vor allem aber mag er die Clowns und deren „Gefühlstiefe“ — die Fähigkeit, aus tiefer Traurigkeit blitzartig in freudige Erregung zu verfallen. So bevölkern sie auch das Illyrien in „Was ihr wollt“. Im Verein mit mit Akrobaten, Musikanten und einem Zirkusbären.

„Am liebsten“, sagt Pérez folglich, „spiele ich im Zelt“, wie zuletzt beim (meistens ausverkauften) Gastspiel in Berlin. Daß er in Bremen mit einem festen Haus vorlieb nehmen muß, schadet dennoch nicht. Schon bei den ersten Proben verbreiten die Chilenen Zirkusluft in Shakespeares Bremer Filiale: tummeln sich auf den Rängen, trommeln auf der Galerie und machen Luftsprünge unter der Decke. „Wir integrieren den ganzen Raum in unser Spiel“, sagt Pérez über den Anspruch von „El Gran Circo Teatro“. Der rührt allerdings nicht nur von der Zirkusliebe her, sondern von der Vergangenheit als Straßentheater.

Auf die Straße zu gehen, das hat in Chile gleichzeitig praktische wie symbolische Bedeutung, wie Pérez erzählt: Für die chilenischen Künstler sei es zu Zeiten der Militärdiktatur eine der wenigen Chancen gewesen, sich unabhängig von den Repressionen der Zensoren zu äußern. Das Straßentheater zählte mit zur oppositionellen Bewegung im Lande.

Im grandios verfallenen „Teatro Esmeralda“ am Rande von Santiago fand das Ensemble zwar einige Jahre lang sogar eine

Flugs das Haar geschnatzt und die Schuhe geschnürt: Gran Circo fängt mit Proben an

feste Bleibe. Der alte Varieté- Palast wurde zu einem Treffpunkt für freie Theaterleute, die ihre unterschiedlichen Talente in das Zirkuskonzept von Perez einbrachten. „Aber das ist kein theoretisches Konzept“ — spüren und leben sollen es die Leute.

hierhin bitte

das Foto von der

Tänzerin, die ihre

Schuhe bindet

Inzwischen ist das Ensemble wieder auf der Straße — der Besitzer des „Teatro Esmeralda“ will jetzt lieber selbst Kasse machen. So tourt die Truppe jetzt erstmal durch Europa. Für Pérez scheint das weniger eine bittere Notwendigkeit zu sein als viel

mehr das reine Glück: „Mobil zu sein“, auch das sei schließlich eine wunderbare Eigenart des Zirkus. Thomas Wolff

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