■ Normalzeit
: Von Mongolenforschern

Die beste Mongolenforscherin der Stadt dürfte meine Weinhändlerin sein, die ihre These über die Rechtsprechung zur Zeit Dschingis Khans geschrieben hat, jetzt lernt sie im Ostberliner Verein der Freunde der Mongolei die mongolische Sprache. Und komischerweise sieht sie zunehmend mongolischer aus: sie hat schon richtige Schlitzaugen. Obwohl sie aus Ostfriesland stammt, wo ihre Eltern einen Bauernhof haben – mit Milchvieh. In dem Dorf ist es den Bauern verboten, ihr Vieh auf die Straße scheißen zu lassen. Weil die Eltern der Mongolenforscherin aber ihre Kühe zweimal am Tag von der Weide in den Stall zum Melken treiben müssen, haben sie dem Vieh angewöhnt, nur auf Befehl – mehrmaliges In-die-Hände-Klatschen – zu scheißen. Das klappt auch ganz hervorragend. Die Mongolenforscherin muß gelegentlich auf dem Hof aushelfen, wenn ihre Eltern z.B. an einem landwirtschaftlichen Fortbildungskurs teilnehmen. Beeindruckt vom koan – wir kennen das Geräusch zweier aufeinanderschlagender Hände – versuchte sie eine Zeitlang, denselben Effekt auch mit solch einhändigem Applaus bei ihren Kühen zu erzielen, aber vergeblich. Im Moment jobbt sie bei Sat.1, wo gerade das Schichtsystem „verschlankt“ wird, was zur Folge hat, daß die Redakteure überhaupt kein Familienleben mehr haben. Es sind aber sowieso fast alles moderne Singles dort, die sich dafür den Luxus postmoderner Apartments gönnen. Die meisten zahlen drei- bis viertausend Mark für ihre Charlottenburger flats. Der Chefredakteur ist noch am Suchen: grad fand er ein Haus in Dahlem, das 21.000 Mark Miete im Monat kostet. Er ist sich noch unsicher, ob er es nehmen soll. Die Mongolenforscherin spielt in ihrer Freizeit Baseball mit den Autonomen im Treptower Park. Sie sagt: Die sind genauso bescheuert drauf wie die normalen Spießer. Die Frauen werden immer nur angebrüllt und sowieso bei den Mannschaftsaufstellungen als letzte gewählt. Wegen ihrer mangelnden Wurffähigkeit gelten sie als tendenziell Baseballspiel-unfähig. Für eine Flasche Wein besorgte ich ihr daraufhin die neueste Ausgabe der Ostberliner Zeitschrift für Philosophie, in der gerade dieses Problem – die spezifische Raumerfahrung von Frauen, wie sie beim Werfen von Gegenständen zum Ausdruck kommt – ausgiebigst diskutiert wird. Und das sehr viel sachlicher als bei den Autonomen im Treptower Park, wenn auch mit demselben Ergebnis. Wenn ich das noch richtig in Erinnerung habe. Helmut Höge

Wird fortgesetzt