Erfolg und Krise hausgemacht

■ Für kleine Verlage in beiden Teilen der Stadt ist es oft schon ein Erfolg, überhaupt zu existieren / Trotz vielfach beklagter Provinzialität keine Alternative zum Standort Berlin

„Es geht auch anders, aber so geht es auch.“ Lebensweisheit statt grauer Theorie, Kreativität statt Krise: Lotti Huber, mittlerweile 80jähriges Enfant terrible der Berliner Sub- und Showszene hat ihr Leben erzählt, und ein kleiner Kreuzberger Verlag hat es gedruckt. Mit Erfolg: „Diese Zitrone hat noch viel Saft“ wurde bereits über 80.000 Mal verkauft und edition dia, ein Kreuzberger Verlag, avancierte über Nacht zum Senkrechtstarter in der Berliner Verlagslandschaft. Krise des Buchs? „Mit den Biografien schräger Vögel“, sagt dia-Mitarbeiter Peter Süß, „haben wir eine Marktnische erobert.“ „Andere Literatur“, vor allem aus Lateinamerika, ist zwar seit Jahren im Verlagsprogramm, doch erst „das Andere vor der eigenen Haustür“ habe den Erfolg gebracht.

Sie muten seltsam nostalgisch an, Erfolge mit Büchern im Zeitalter der elektronischen Medien. Allenthalben wird der Krise des gedruckten Wortes das selbige geredet, und Verlagszusammenbrüche wie der des Roten Stern in Frankfurt, Galgenberg in Hamburg oder der Verkauf der Sammlung Luchterhand an dtv scheinen den Unkenrufern recht zu geben. Sind Kleinverlage nichts anderes als eine solidarische Sterbegemeinschaft, fragte unlängst Jung-Verleger Christoph Links und stellte fest: „Nicht versponnene Lyrik- Projekte sind auf der Strecke geblieben, sondern professionell gemachte Bücher von professionell agierenden Verlagen in gut gehenden Marktsegmenten.“

Daß das Knirschen im Verlagsgebälk auch vor Berlin nicht haltmacht, weiß Rotbuch-Mitarbeiterin Barbara Schulz: „Die Krise ist so groß, daß es eigentlich keine Strategien dagegen gibt.“ Eins sei aber klar: „Gesinnungsliteratur“ könne man heute nicht mehr machen. Wie kein anderer Verlag spiegelt Rotbuch bewegte wie unbewegte Zeiten Berliner Verlagsgeschichte. Vor 20 Jahren als Wagenbach-Abspaltung gegründet, zählt der Verlag, der Seyfried entdeckte, mit 35 Titeln pro Jahr und sechs MitarbeiterInnen nunmehr zu den Großen unter den Kleinen und zu den ersten in Berlin, die sich mit Krimis ein wirtschaftliches Standbein erschlossen haben. Der erhoffte Aufschwung mit dem Mauerfall freilich blieb aus. „In den neuen Ländern“, sagt Barbara Schulz, „verkaufen wir so gut wie nichts.“

Daß es das Leseland DDR nur unter den Bedingungen einer Käseglocke gab, ist auch die Erfahrung des im Januar 1990 gegründeten Ch.Links-Verlags. „Einen Ost- Bonus gibt es nicht“, sagt Verleger und Namensgeber Links, „vier Fünftel unserer Auflage wird in Berlin und den alten Bundesländern verkauft.“ Im Verlagssitz am Prenzlauer Berg (drei MitarbeiterInnen, fünfzehn Bücher im Jahr) wird der Krise vor allem durch Alternativen zum „reinen politischen Sachbuch“ begegnet: „Erst die illustrierten kulturhistorischen Bände“, sagt Links, „haben den wirtschaftlichen Erfolg gebracht.“

Während Links seine Devise vor allem in harter Kalkulation sieht, verfolgt die zweite Ost- Gründung, BasisDruck, mit der zusätzlichen Herausgabe von Zeitschriften wie der Anderen und Ypsilon von Anfang an größere Ziele. Geld genug war da: Mit dem Mielke-Buch „Ich liebe euch doch alle“ gab es Anfang 1990 nicht nur das erste Stasi-Buch der DDR, sondern auch einen sensationellen Erfolg. Binnen Stunden waren 35.000 Exemplare vom Lkw verkauft, insgesamt waren es 220.000. „Doch die Gründungseuphorie“, räumt Orendt ein, „hat uns auch Lehrgeld gekostet.“ Um Vertrieb, Vertreter und Auslieferung hat man sich erst 1991 gekümmert, und der Wegfall der ABM-Kräfte hat heute dazu geführt, daß von fünfzig MitarbeiterInnen nur noch fünf blieben und die Buchproduktion nach wie vor im argen liegt.

Daß es auch anders geht, beweist die edition id-Archiv, ein Verlag, der wie BasisDruck ebenfalls in der Schliemannstraße in Prenzlauer Berg beheimatet ist. Obwohl mit einem reinen Sachbuchprogramm angetreten, können die Verleger, die sich selbst der linksradikalen Szene zuordnen, über mangelnden Erfolg nicht klagen. „Die Drahtzieher“, eine Hintergrundrecherche über führende Neonazis, wurde inzwischen über 10.000mal verkauft und selbst die zweibändige Geschichte der „Revolutionären Zellen“ hat bereits über 4.000 LeserInnen gefunden.

Daß in Berlin die Bedingungen für Kleinverlage günstiger sind als anderswo, liegt für Christoph Links vor allem im intellektuellen Potential der Stadt und der Nähe zu den Medien. Doch ungeteilt ist dieser Optimismus nicht: „Berlin ist zwar die Stadt mit den meisten Verlagen“, sagt Peter Süß von edition dia, aber im Vergleich zu Hamburg, Frankfurt oder München keine Verlagsstadt. „Das hat damit zu tun, daß im Westen 40 Jahre lang das Inselbewußtsein gepflegt wurde und sich die einstige Stellung Berlins als Verlagsstadt nicht mit provinziellen Debatten zurückerobern läßt.“ Uwe Rada