Pisten, Pleiten, Pannen

Schneearme Winter haben zu Einbußen im Skitourismus geführt / Die Liftbetreiber in Südtirol treten die Flucht nach vorn an und erhöhen die Beförderungskapazitäten  ■ Von Reinhard Kuntzke

Jeder Skifan hat sie gesehen, aber wer hat sie je beachtet? Die Männer mit den scharf geschnittenen Bauerngesichtern stehen an jedem Skilift von den Dolomiten bis zum Ortler. In mehr oder minder kleidsame Einheits-Anoraks gesteckt, bilden sie einen augenfälligen Kontrast zum städtischen modebewußten Pistenvolk ringsum. Es sind Südtiroler Bauern, ohne deren Einsatz als Saisonarbeiter kein Skigebiet existieren könnte. Gefragt ist, wer technisch versiert ist. Denn der Skibetrieb von heute ist eine hochtechnologische Angelegenheit. Computergesteuerte Skipaßsysteme, High- Tech-Lifte, komplizierte Beschneiungsanlagen und schwer zu beherrschende Pistenraupen stellen hohe Anforderungen auch an das Saisonpersonal.

Und der Technisierungsgrad der Skireviere nimmt weiter zu. Die schneearmen Winter der letzten Jahre, Touristenrückgänge und der Konkurrenzdruck aus den Nachbarländern veranlassen die Betreiber der Südtiroler Skigebiete zur Flucht nach vorn und zu immer höheren Investitionen. Zwar verkündet die Branche des weißen Vergnügens vollmundig, es würden keine neuen Skigebiete mehr erschlossen. Nur „Anpassungen und Korrekturen“ seien zulässig. Aber „Anpassung“ bedeutet für die Liftbetreiber Ausbau der Beförderungskapazitäten. Veraltete Seilbahnen werden durch neue ersetzt, die eine höhere Stundenleistung gewährleisten und immer mehr Menschen auf die Höhen katapultieren. So wurde beispielsweise im letzten Jahr die alte Seilbahn zum Piz Bo im Gadertal abgebrochen, die lediglich 540 Personen pro Stunde befördern konnte.

Die neue automatische Zwölfer-Kabinen-Bahn verfünffacht nun die Förderleistung und bringt stündlich 2.400 Schneefreaks auf den Berg. Insgesamt sollen die Kapazitäten der Aufstiegsanlagen in Südtirol in den nächsten Jahren um 35,9 Prozent wachsen. Was moderne Lifte bedeuten, ist sattsam bekannt. Um den wachsenden Besucherstrom in den Griff zu bekommen, müssen an den Talstationen neue Parkplätze geschaffen und Straßen ausgebaut werden, während oben die Pisten verbreitert und größere Schneisen in den Bergwald geschlagen werden. Bescheidene Almhütten werden zu riesigen Abfütterungsbetrieben umgerüstet.

Allerdings bleiben viele der kleineren Skireviere mangels Kapital auf der Strecke. Kein Jahr vergeht, in dem nicht eine Südtiroler Liftgesellschaft wegen Problemen bei der Schuldenrückzahlung oder wegen Fehlkalkulationen ins Gerede kommt. Übernommen hatte sich beispielsweise im vergangenen Jahr die Roßkopf AG, die die Seilbahn am Sterzinger Haus- und Skiberg betreibt. Beim Bau der neuen Umlaufbahn hatten sich sechs Milliarden Lire Schulden angehäuft. Allein an Zinsen mußte die Hälfte dessen zurückgezahlt werden, was in einer guten Wintersaison in die Kasse kommt. Aber die letzten Winter waren schlecht. Die Einnahmen konnten noch nicht einmal die Zinslasten decken. Die Roßkopf AG stand kurz vor dem Offenbarungseid. Nur Geldspritzen der Gemeinde Sterzing und ansässiger Wirtschaftsunternehmen sowie das Stillhalten der Banken verhinderten den drohenden Konkurs.

Auch andere Südtiroler Skigebiete sind ein pekuniäres Faß ohne Boden. Im Skirevier Maseben im hintersten Vinschgau stellt sich am Ende jeder Wintersaison erneut die Frage, ob die Anlagen im nächsten Jahr wieder in Betrieb gehen werden. Die Kosten für die Lifte sind zu hoch. Jahr für Jahr stopft die zuständige Gemeinde aufs neue die Finanzlöcher. Auch Meran 2000 war nur zu retten, weil die Kommune das Skigebiet fast ganz übernommen hat. Ähnliches geschieht im Ultental und im Skigebiet der Tartscher Alm bei Latsch im Vinschgau. Die Gemeinden springen ein und subventionieren den Winterspaß der Touristen.

Hoch verschuldet ist auch die Neue Plose AG, die Seilbahngesellschaft am Skiberg oberhalb von Brixen. Gemeinderat und Liftbetreiber ziehen eine merkwürdige Konsequenz aus der letzten katastrophalen Wintersaison. Vergessen sind die Beteuerungen, keine neuen Skigebiete mehr zu erschließen. Nicht Beschränkung, sondern Ausbau heißt die Devise in Brixen. An der bislang unberührten Gablerscharte und am Schnatzgraben sollen neue Sessellifte errichtet werden. Auch neue Betten brauche die Plose. Wo? Natürlich an der Talstation der Plose-Seilbahn.

Aber den Erschließungsfetischisten bläst ein zunehmend rauher Wind ins Gesicht. Ausbaupläne stoßen immer stärker auf den Widerstand der ansässigen Bevölkerung. Groß ist die Furcht, daß die letzten ökologisch intakten Täler und Berggebiete den Belangen des Wintertourismus geopfert würden. Das Vorhaben der Watles AG, im Obervinschgau ihr Skigebiet zu erweitern und den Nordhang des lawinengefährdeten Oberdörfer Tales mit einem Doppelsessellift und Pisten zu erschließen, wurde im vergangenen Jahr durch das Engagement einer Initiativgruppe verhindert. In einer Volksbefragung sprachen sich 83 Prozent der Einwohner im betroffenen Dorf gegen die Pläne der AG aus. Auch die immer wieder hervorgekramte Idee, das defizitäre Skirevier von Meran 2000 durch eine Skischaukel zum benachbarten Sarntal aufzuwerten, stößt auf Ablehnung in der Öffentlichkeit.

Für die Großen der weißen Zunft, die schwarze Zahlen in den Schnee schreiben, sieht die Lage anders aus. Sie können es sich leisten, ihr Angebot „gesundschrumpfen“ zu lassen. Die Vereinigung „Dolomiti-Superski“ betreibt den größten Skiverbund der Welt. In Südtirol, im Trentino und Belluno haben sich 40 Skizentren in elf Talschaften zusammengeschlossen. Dolomiti-Superski unterhält 437 Aufstiegsanlagen und rund 1.100 Kilometer Pisten, von denen über 400 Kilometer künstlich zu beschneien sind. Die Beförderungsleistung der Lifte ist so groß, daß alle 440.000 Einwohner der Großstadt Nürnberg, vom Kleinkind bis zum Greis, innerhalb einer Stunde auf die Skihänge der Dolomiten geschafft werden könnten. 77millionenmal (!) piepsen 1990 bei Dolomiti-Superski die Ablesegeräte. Da fällt es leicht, 30 unrentable Aufstiegsanlagen stillzulegen und sich auf die profitablen zu konzentrieren. Die alten Lifte werden ausgemustert und durch leistungsstarke ersetzt. Dolomiti-Superski hat auch das Kapital, voll auf Chips, Bits und Bytes zu setzen und das gesamte Abbuchungssystem zu computerisieren. Vierzehn Milliarden Lire kostete diese Umstellung.

Die altmodischen Skipässe werden durch Key-Cards und Key- Watches ersetzt. Im Inneren dieser Karten und Uhren schlummert ein Mikrochip mit einer integrierten Schaltung. Gespeichert sind die persönlichen Daten der Skipaßinhaber samt Namen, Hoteladresse, Gültigkeitsdauer und einiger Geheimcodes. An den Liftstationen wird so die Zugangsberechtigung automatisch überprüft. Findet Kollege Computer alles in Ordnung, öffnen sich die Pforten zum digitalisierten Skiparadies. Es wird nicht mehr lange dauern, dann werden die High-Tech-Uhren mit dem einprogrammierten Kreditkonto gleichberechtigtes Zahlungsmittel in den Skiorten werden. Ob im Hotel oder beim Aprèsski: Das Kramen in den Lirebündeln wird der Vergangenheit angehören. Die Uhr macht's.

Trotz der letztjährigen Rückgänge ist der Wintertourismus in Südtirol weiterhin ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor. Immerhin kamen in der Saison 1992/93 rund 1,4 Millionen Urlauber in die Skizentren und in die Fremdenverkehrsorte der Provinz. Aber die deutschen Pistenfans bleiben immer häufiger aus. Betrug der Anteil der Deutschen vor zehn Jahren noch 63 Prozent, schrumpfte er in der Wintersaison 90/91 auf knapp 37 Prozent. Auch den italienischen Gästen wird ihre nördlichste Provinz langsam zu teuer. Sie haben gemerkt, daß sich auch jenseits des Brenners gut und preiswert Ski fahren läßt.