■ Feiernd lernen
: Die andere Lebensart

Das Basteln von Osterhäschen und Weihnachtssternen zu den wichtigsten Festen im Jahreslauf des hiesigen Kalenders sind selbstverständlicher Bestandteil des gängigen Kanons kultureller Erziehung in Kindereinrichtungen und Schulen. Die mit den Festen eng verbundenen Mythen und Geschichten erklären die kulturelle oder religiöse Weltsicht. Die Situaton des multikulturellen Zusammenlebens bringt es mit sich, daß das Bedürfnis wächst, mit den Kindern auch die Feste der Migranten zu feiern. Kinder setzen alles daran, die Erfahrungen, die sie außerhalb der Familie machen, mit ihrer häuslichen Welt in Einklang zu bringen. Für Kinder ist es von großer Bedeutung, daß ihre Familie und das, was sie von dort mitbringen, wertgeschätzt wird. Von daher bedeutet die Ignoranz gegenüber den kulturellen Differenzen Abwertung, Respektlosigkeit, Verunsicherung.

Zu den Prinzipien der interkulturellen Erziehung gehört es, deren jeweiligen Hintergrund ernst- und anzunehmen. In Kindereinrichtungen und Schulen, die sich daran orientieren, geschieht das u.a. dadurch, daß die Vielfalt der Kulturen durch die Gestaltung der Räume, die Auswahl der Bilder und Fotografien an den Wänden, durch die Repräsentanz der Muttersprachen, aber auch durch die Lerninhalte erlebbar gemacht werden. Eine besonders gute Möglichkeit ist das gemeinsame Feiern von Festen, wie sie die Kinder von zu Hause kennen. Das Zulassen der Feste verschiedener Kulturen und Religionen bedeutet ein Ja zum Zusammenleben in der multikulturellen Gesellschaft.

Das Erleben der Feste verschiedener Kulturen vermittelt den Kindern eine Wertvorstellung: daß es neben der eigenen Art zu leben und die Welt zu sehen auch noch andere Lebens- und Sichtweisen gibt, die es lohnt kennenzulernen. Zum Verständnis unbekannter Bräuche läßt es sich gut an den Ähnlichkeiten anknüpfen, die beim Vergleich von Festen aus aller Welt auffallen. So ist das Ei ein festliches Symbol, das in vielen Zeremonien eine Rolle spielt, z.B. im Osterbrauch der Christen und beim Nouruzfest der Iraner. In Italien kommt der Nikolaus nicht am 6. Dezember, dafür bringt am 6. Januar die Hexe Befana den Kindern Süßigkeiten. Und auch bei den moralischen Botschaften gibt es Parallelitäten: so enthalten sowohl das islamische Opferfest wie auch das christliche Sankt-Martins-Fest die Aufforderung, mit den Armen zu teilen. Die Beschäftigung mit Festen als einer zentralen Ausdrucksform von Kultur und Kulturen vermittelt auch ein Verständnis von deren Geschichtlichkeit. Allein die Betrachtung der Veränderung von Festen in der Migration liefert dafür eine Fülle von Beispielen. Eva Maria Blum

Das Amt für multikulturelle Angelegenheiten der Stadt Frankfurt/M. bringt seit 1993 einen Kalender „Feste der Völker“ heraus. Der Kalender '94 ist im Buchhandel für 55 DM erhältlich.