Poesie in verhusteter Nervosität

■ Abschluß der Hammoniale mit Schostakowitschs 13. Sinfonie

Nach gut 14 Tagen hammonialer Kunst- und Kulturvielfalt wurde am Freitag der Schlußakkord im Hamburger Michel gesetzt. Ein Schluß mit Pauken und Trompeten und einem Schuß Besinnlichkeit. Im Zentrum stand die Hamburger Erstaufführung der 13. Sinfonie Babi Yar von Dimitri Schostakowitsch (Babi Yar ist eine Schlucht in der Ukraine, in der im 2. Weltkrieg tausende Juden und Ukrainer massakriert wurden). Die symphonische Kantate sorgte bei ihrer Uraufführung 1962 für einigen Wirbel, da die für die damaligen Zensurverhältnisse prekäre Auswahl an protestlyrischen Texten den latenten Antisemitismus in der Sowjetunion aufdeckten.

Jutta Hoffmann und Will Quadflieg schufen mit ihrer Lesung russischer Lyrik aus dem Umkreis Schostakowitschs den besinnlichen Rahmen. Eine schöne Idee, vor einem Konzert der Poesie das Wort zu lassen. Doch die sinnliche Komponente, besonders in Anna Achmatowas Gedicht „Musik“, verpuffte im Hall der Kirche. Überfallartig echoten die lyrischen Intimitäten von Achmatowa und Jewgenij Jewtuschenko in den sakralen Großraum, die verhustete Nervosität nahm Dimensionen an, so als wohnte man einer lyrischen Lautsprecherdurchsage bei. Das Litauische Kammerorchester, der Nationale Männerchor Estlands und die Camerata St. Petersburg kämpften sich langsam steigernd durch das wuchtige Programm — selbst für einen Top-Dirigenten wie Maxim Schostakowitsch keine leichte Aufgabe. Nur hob das mutige Programm mit Mahlers 5. Syphonie etwas zäh an. In Babi Yar entfalteten sich dann Schostakowitschs klangliche Reflexionen russischer Geschichte und Staatstyrannei und Jewtuschenkos Texte in opernhafter Breite — ein bombastisches und sehr bewegendes Werk.

Sven Ahnert