Sanssouci
: Vorschlag

■ Mandelstam-Ausstellung in der Pankower LiteraturWerkstatt

Ironisches Lächeln am Ende der Führung: Anna Rudnik vom Moskauer Literaturmuseum bedankt sich unter anderem beim KGB. Beim KGB-Archiv, um genau zu sein: Dort lagern die letzten Zeugnisse vom Leben Ossip Mandelstams, der 1938 in einem Durchgangslager umkam. Anna Rudnik weist auf die Benachrichtigung, die Nadjeshda Mandelstam vom Tod ihres Mannes erhielt – eine hingeworfene Notiz auf einem Zettel. Immerhin, die Familie erhielt Nachricht: Das sei nicht üblich gewesen, vermerkt Nadjeshda Mandelstam, die Witwe, die Stalins Sowjetunion in ihren Memoiren von 1964 folgendermaßen kommentiert: „Wenn man Menschen für ihre Dichtung in den Tod schickte, so zollte man der Poesie Anerkennung, man fürchtete sich vor ihr, sie war eine Macht.“

Die Ausstellung geht auf das Verhältnis von Geist und Macht nicht näher ein, sondern beschränkt sich darauf, Mandelstams Lebenslauf nachzuzeichnen. Sie ist in erster Linie das Zeichen dafür, daß Mandelstam, der in der Sowjetunion auch nach seiner Rahabilitierung kaum gedruckt wurde, nun auch in Moskau und Petersburg geehrt wird. Die Bezüge zur Zeitgeschichte liefern Bilder von Zeitgenossen und Orten. 1917 heißt dabei die alles beherrschende Zäsur. Revolution – Zarensturz, Kerenski, Lenin. Felix Dserschinski, Begründer der sowjetischen Tscheka, lächelt aus dem Fond seines Wagens; Stalin sitzt sinnend in der Studierstube — und Petersburg zerfällt.

Vor 1917 dagegen war die Welt noch ziemlich heil, sagen die Bilder der Ausstellung. Mandelstam – Sohn einer jüdischen Bürgerfamilie, Mandelstam – mondäner Europäer auf Reisen, Mandelstam – Dichter unter Dichtern in St. Petersburg. Ziemlich heile Welt: Mandelstam bekommt die Diskriminierung von Juden zu spüren, 1908 etwa verzichtet er deshalb auf eine Immatrikulation an der Petersburger Universität, reist statt dessen. 1912 registrieren ihn die Akten der zaristischen Geheimpolizei wegen „revolutionärer Tätigkeit“.

Mandelstam hielt lange Distanz zum neuen Staat. Ein Gedicht gegen Stalin ist es, das – vermutlich – die erste Verhaftung und Verbannung zur Folge hat. Mandelstam überlebt zwei Selbstmordversuche. Nikolaj Bucharin, 1934 noch Regierungsmitglied, bittet für Mandelstam; der Dichter darf sich daraufhin seinen Verbannungsort selbst aussuchen und wählt Woronesh. Letzte Frist: „Ich muß nun leben, war schon zweifach tot.“ Die zweite Verhaftung überlebt Mandelstam nicht. Friederike Freier

„Ich muß nun leben, war schon zweifach tot“, bis zum 27.10. in der LiteraturWerkstatt Pankow, Mo.–Fr., 14–18 Uhr und nach Veranstaltungen.