■ Die verordnete Wilhelmstraße
: Schlimme Ahnungen

Im Streit um den Namen der bisherigen Grotewohlstraße meint der Senat, den Dreh gefunden zu haben. Im Hauptstadtvertrag zwischen Berlin und der Bundesregierung ist unter anderem vorgesehen, daß im sogenannten Zentralen Bereich die Straßenaufsicht, zu der landläufig auch das Namensgebungsrecht fällt, von der Senatsverwaltung an sich gezogen werden kann. Ob der Senat damit durchkommen wird, ist durchaus fraglich, denn neben der grundsätzlichen Frage, ob hier nicht in quasi-gemeindliche Rechte des Bezirks Mitte eingegriffen wurde, ist unklar, ob der Senat die formalen Dinge wie Anhörung der betroffenen Anwohner durchgeführt hat.

Die entscheidende Frage heißt, ob es rechtens war, für die von oben verordnete Umbenennung die sofortige Vollziehung anzuordnen und damit vom Regelfall bei Straßenumbenennungen abzuweichen, daß mit einer Klage erst einmal der Vollzug der Umbenennung angehalten ist. In Wilmersdorf liegt schon seit über einem Jahr die Umbenennung des Seebergsteigs in Walter-Benjamin-Straße wegen einer Anwohnerklage auf Eis. Die besondere Eilbedürftigkeit bei Grotewohl kann wohl nicht darin liegen, daß sich prominente Bundesbürger wie Helmut Kohl über die Sturheit des Bezirks Mitte besonders geärgert haben.

Die Fraktion Bündnis Mitte wertet das Ganze nur als Anfang viel schlimmerer Dinge. Sie fürchtet, daß der Senat nach und nach die bezirklichen Selbstverwaltungsrechte immer weiter aushöhlt und auch in Zukunft selbst bei Kleinigkeiten in die bezirkliche Verwaltung hineinregiert. Erste Beispiele (so wichtige Dinge wie Stellplatzvergaben beim Weihnachtsmarkt) lassen die Bezirkspolitiker Schlimmes befürchten.

Jedenfalls hat die Senatsverwaltung in der Eile einige „Kleinigkeiten“ übersehen. Die Verfügung spricht nur von der Rückbenennung der Otto-Grotewohl-Straße in Wilhelmstraße. Am 21. September 1964, vier Tage nach dem Tod des DDR-Ministerpräsidenten, hatte der Berliner Magistrat allerdings nicht nur die Umbenennung der Wilhelmstraße, sondern auch die Umbenennung der Neuen Wilhelmstraße (nördliche Fortsetzung der Wilhelmstraße) beschlossen. Jetzt stellt sich die Frage, ob auch das nördliche Teilstück der Otto-Grotewohl-Straße zwischen Unter den Linden und der Marschallbrücke in Wilhelmstraße umbenannt ist. Möglicherweise führt dieser kleine Fehler dazu, daß der langjährige DDR-Ministerpräsident doch nicht endgültig aus Berlins Mitte vertrieben ist. Entscheiden darüber müssen nun die Verwaltungsrichter. Jürgen Karwelat

Siehe Bericht auf Seite 22

Der Autor ist Mitarbeiter der Geschichtswerkstatt, die die Klage eines Grotewohl-Straße-Anwohners gegen die Umbenennung unterstützt.