Betr.: Baron Wolmann: "Like A Rolling Stone. Frühe Rockphotographien aus San Francisco"

Am 18. Oktober 1967 erschien die erste Ausgabe des Rolling Stone. Jann Wenner, Mastermind der Crew, hatte sich die Musikzeitschrift immer als eine Art elegante Illustrierte vorgestellt, mit einem Design, das den „Mind“ im Bild nach außen kehrt. Wenner war es auch, der Baron Wolman als ersten festen Fotografen für den Rolling Stone engagierte. – Wolmans erster Auftrag bestand darin, ein Foto von den Grateful Dead zu machen, unmittelbar nach einer Marihuana- Razzia in deren Haus an San Franciscos legendärer Hippiemeile Haight Ashbury. Wolmans Foto aus dem Oktober 1967 zeigt eine nicht ganz entspannte, aber launige Jungen-Gang, die auf der Treppe mit (geladenen?) Gewehren posiert wie die Pilgerväter alter Tage. Eine zappelige Aufbruchshysterie ist dem Bild eingeschrieben wie ein unsichtbarer Strichcode.

Baron Wolman blieb von 1967 bis 1970 beim Rolling Stone, in einer Zeit, als man noch glaubte, „Musik habe die Macht, die Welt zu verändern“. Will man den pastellfarbenen Erinnerungen eines Zeitzeugen Glauben schenken, so war es die Paradies-Ära, die Zeit, bevor Musik (als Ausdrucksform „an sich“) und Geschäft in erbitterte Konkurrenz traten. „Damals, als jeder jeden kannte, als wir gemeinsam die Macht der Musik entdeckten und uns voller Tatendrang in die Rock-'n'-Roll-Szene stürzten, herrschten noch andere Zeiten“, grämt sich Wenner im Geleitwort zu Wolmans Rockfotografien. Zwei alternde Pioniere überlassen sich dem „Just-Around-The-Corner-Feeling“, mit dem San Francisco zur Kinderstube des Underground verklärt wird, erweisen einer großartigen Geschichte ihren angemessen pathetischen Dank.

Dabei schwelgt man nicht wenig in der gewissermaßen naturbelassenen Verworfenheit der Anfänge: „Man saß einfach ein bißchen zusammen mit der Band, vor oder nach der Show“, teilte freudig seine paar Stimulantien. Zeiten waren das, als es sich Rock-'n'-Roll-Rebellen „auf allgegenwärtig überladenen Oma-Sofas so richtig gemütlich machten“, und das offenbar völlig in Ordnung ging – entrückte Unschuld. Eine eher pinkfarbene denn orange Seele wölkt da aus dem Movement. Geradezu ulkig wirken im nachhinein Sätze, die in feierlichem Sendungsbewußtsein ersaufen: „Wir ahnten..., der Rock'n'Roll würde uns erhalten bleiben.“

Wolman hatte es weniger gemütlich als die Sofa-Inhaber; meist kauerte er neben Marshall-Verstärkern, um „die Musik zu sehen“. Seine Fotos wollten die „Essenz eines Konzerts“ kondensieren, und wer Augen hat, der sehe, daß die Essenz in diesem Fall wohl Erlösung bedeutete. Ein Pete Townsend mit Glitzerjackett in Predigerpose, Jim Morrison, der „King of the Lizards“, von einem Heiligenschein aus Percussions umkränzt. Die Milch-und-Honig-Teints von Mick Jagger, Steve Winwood und Donavan haben etwas Weirdes, wie nach einem Dornröschenschlaf – ein Eindruck, der so irrig korrekt sein mag wie die manierierte Durchsichtigkeit in den Gesichtern der Groupies und Hippiemädchen. Intimität als kollektive Attitüde. Die spontane Nicht-Stilisierung gipfelt in einem ätherischen Dandyismus (Porträt Jim Morrison oder Sally Mann), der fast schon abrufbare Züge annimmt.

Wolmans Fotografien von Stars, Groupies, Festivals und ihren grauen Eminenzen: Rockkritikern, Drogenpropheten oder Schriftstellern dokumentieren den Beginn der Sixties-Pop-Ikonographie, Garcia und Joplin sei Dank waren sie aber genauso stilprägend für jene längst verblichene Dekade des Rolling Stone, als dessen Redakteure zur Strafe für das Wort „Fuck“ von den Setzern mit einer Handvoll Typen beschmissen wurden. Anke Westphal

Baron Wolman: „Like A Rolling Stone. Frühe Rockphotographien aus San Francisco“. Verlag Schirmer/Mosel, 111 Seiten, 49.80 DM