Grenzen der Erkenntnisarbeit

Was der baden-württembergische Ministerpräsident Ernst Teufel (CDU) über Japan gelernt hat, und was er in Japan nicht verstanden hat  ■ Aus Tokio Georg Blume

Welcher deutsche Politiker kann sich in Tokio schon feiern lassen? Graf Lambsdorff vielleicht, der seine japanischen Beziehungen über die Jahre hin pflegte. Oder Richard von Weizsäcker, dessen offene Worte über die Vergangenheit ihm in Japan viele Freunde einbrachte. Doch nur wenigen Deutschen ist derzeit in Tokio ein Applaus beschieden, wie ihn der baden-württembergische Ministerpräsident Ernst Teufel während seiner ersten Japan-Reise von Dienstag bis gestern begleitete. Zugegeben: Die applaudierenden waren meist keine Japaner. Das aber mag den Erfolg Teufels nicht schmälern. Denn mit seltener Einigkeit und Zustimmung folgte die Kolonie deutscher Diplomaten und Manager den Ideen und Bekenntnissen, die ihr Gast aus Stuttgart über Japan gewonnen hat.

Was beim Auftritt Teufels in Tokio fehlte, war der gewohnte deutsche Stallgeruch von Überheblichkeit und Unkenntnis, der gerade den in Japan tätigen deutschen Managern die Besuche ihrer Vorstandschefs allzuoft verleidet. „Wir können Japan nicht überschätzen, sondern nur unterschätzen“, formulierte Teufel sein Tokioter Credo. „Ob wir gegen Japan wettbewerbsfähig bleiben, entscheidet über unsere Wettbewerbsfähigkeit schlechthin.“

Eitel Freude über die gemeinsamen Erkenntnisse herrschte im Saal, als Kammerpräsident Folker Streib, Chefmanager der Commerzbank in Tokio, seinem Gast bescheinigte: „Wenn überhaupt irgendwo in Deutschland etwas für den Dialog zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern über die japanische Herausforderung getan wird, dann passiert das zur Zeit in Baden-Württemberg“. Angesprochen war damit der von Teufel beauftragte Bericht einer mit namhaften Unternehmen, Wissenschaftlern und Gewerkschaftern besetzten „Zukunftskommission 2000“, der mit seiner Kritik am Technologierrückstand der Deutschen viele Bezüge mit Japan hergestellt hatte. Schon lange scheuen sich Teufel und sein Wirtschaftsminister Dieter Spöri (SPD) nicht mehr, in Japan das Modell ihrer dialogorientierten Wirtschaftspolitik zu erkennen.

Teufel verlas in Tokio die Botschaft, die die japanischen Statthalter der deutschen Konzerne zuhause nie recht vermitteln konnten: „Jahrelang haben uns die Arbeitgeber gesagt, wir können Japan nicht imitieren“, trumpfte Teufel auf. „Das alles hat sich total geändert. Beim schlanken Management und in der Industriepolitik lernen heute alle von Japan.“

Doch gerade weil sich der Ministerpräsident wie nur wenige deutsche Politiker mit Japan beschäftigt hat, werden bei ihm auch die Grenzen des deutschen Japan- Verständnisses besonders deutlich. Eine „marktorientierte Industriepolitik“, wie sie kürzlich Daimler-Chef Edzard Reuter forderte, und die Verschlankung der Unternehmen (Lean Production) sind die längst verbreiteten Japan- Stichwörter in der deutschen Krisendiskussion. Dabei sucht man in Japan in aller Regel nach einfachen Erfolgsrezepten, nämlich nach konkreten Rationalisierungsplänen und gelungenen Beispielen für die Zusammenarbeit zwischen Staat und Wirtschaft, wie sie etwa im Bereich der Halbleiterentwicklung gegeben sind.

Was dabei in der Erkenntnisarbeit zu kurz kommt, sind Grundeinsichten über Formen des japanischen Wirtschaftens, wie sie in Deutschland nicht auf Anhieb nachvollziehbar sind. Teufel gab dafür ein typisches Beispiel. Als habe er noch nie etwas vom Konsensprinzip unter der aufgehenden Sonne gehört, drosch der Ministerpräsident auf die deutschen Gewerkschaften ein, kaum das ihre Rolle in Tokio erwähnt wurde. War ihm dabei nicht bewußt, daß ein Bericht wie jener der Zukunftskommission in Baden-Württemberg gegen ein Minderheitsvotum der Gewerkschaften in Japan nie veröffentlicht worden wäre.

Allzu leicht fiel es Teufel während seines Besuchs, Japan im Sinne der deutschen Unternehmerschaft zu funktionalisieren. „Die Deutschen arbeiten zu kurz und zu wenig flexibel“, sprudelte der Ministerpräsident in einem Atemzug mit der Lobhymne auf den japanischen Fleiß. Da hatte er schon fast wieder vergessen, was ihm die neue japanische Planungsministerin, Manae Kubota, kurz zuvor erzählte, daß nämlich auch die Japaner kürzer arbeiten wollen, da nur so auf Dauer eine Gewähr für die niedrige Arbeitslosigkeit in Japan bestehe. Neu zu denken aber gab dem Ministerpräsidenten dann doch eine Information, die er zunächst gar nicht glauben wollte: In Japan haben nämlich Manager und Geschäftsführer ihre Gehälter im Krisenjahr 1993 um durchschnittlich 20 Prozent gesenkt, womit in der jährlichen Lohnsumme der Betriebe voraussichtlich zwei Prozent eingespart werden. Statt wie bei Daimler- Benz in Stuttgart die Vorstandsgehälter zu erhöhen, während gleichzeitig Entlassungen ausgesprochen werden, übernehmen japanische Manager auch im persönlichen Bereich finanzielle Verantwortung, wenn es dem Unternehmen schlecht geht. Irgendwie leuchtete das auch Ernst Teufel ein: „Das könnte man auch unter die Leute bringen“, überlegte der Ministerpräsident. Doch dann schreckte er zurück: „Ich will nur niemanden sagen, daß er seine Gehälter reduzieren muß. Jeder muß mit gutem Beispiel vorangehen.“