Wirtschaftschaos droht

■ Hausgemachte Krise in Nicaragua

Managua (taz) – Alle Wirtschaftsindikatoren Nicaraguas hätten sich seit der sandinistischen Zeit verschlechtert. Eine Fortsetzung des bisher angewandten Anpassungsprogramms werde soziale Explosionen und den Sturz der Regierung zur Folge haben. Dieses katastrophale Zeugnis stellt der Regierung Violeta Chamorro nicht etwa ein sandinistischer Politiker aus, sondern einer der engsten Wirtschaftsberater von Präsidialminister Antonio Lacayo. Das vertrauliche Memorandum des ehemaligen Planungsministers von Costa Rica, Otton Solis, hat die Alarmstimmung im Kabinett öffentlich gemacht.

Datiert mit 4. September prognostiziert das Dokument, „daß in weniger als sechs Monaten eine neue Krise ins Haus steht, wenn das Wirtschaftsmodell nicht modifiziert wird“. In den Jahren 1985 bis 1989 importierte Nicaragua 2,75 mal mehr als das Land durch Ausfuhren einnahm, 1992 stieg die Differenz auf mehr als 4:1. Gleichzeitig verminderten sich die öffentlichen Investitionen um 37 Prozent und das Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner sank um 30 Prozent. „Das bedeutet, daß heute mehr Nicaraguaner in Armut und extremem Elend leben, selbst wenn das Verteilungsmuster gleich geblieben wäre“, kommentiert Solis. Die Arbeitslosigkeit sei von 40 Prozent 1989 auf 54 Prozent angestiegen und der Grundnahrungsmittel- und Fleischkonsum um 25 Prozent abgesackt.

Doch nicht nur die Armen hätten unter der neoliberalen Rosskur zu leiden. Auch die Unternehmer würden durch den überstürzten Zollabbau geschädigt: „Nachdem die nicaraguanischen Produzenten fünf Jahre lang (seit Verhängung des Wirtschaftsembargos durch die USA) mit ihrem wichtigsten Markt keinen Handel treiben durften, wurde plötzlich ihre internationale Konkurrenzfähigkeit zur Bedingung für neue Kredite gemacht.“ Auch die 10 Prozent über dem internationalen Niveau liegenden Darlehenszinsen hätten sich auf die Produktion verheerend ausgewirkt.

Sowohl die Sandinisten als auch die rechtsoppositionelle UNO-Koalition fordern eine Korrektur des Wirtschaftsplanes. Doch aus den eigenen Reihen ist Lacayos Stabilisierungsplan bisher nicht mit solcher Deutlichkeit kritisiert worden. Solis empfiehlt jetzt eine produzentenfreundlichere Kreditpolitik, die Förderung der Kleinbauern, die Anhebung der Luxussteuer bei gleichzeitigen Steueranreizen für Export und Tourismus, eine offensive Beschäftigungspolitik, Investitionen im sozialen Wohnbau, die Abschaffung der Schulgebühren und die Wiederherstellung der freien Gesundheitsversorgung.

Der IWF müsse allerdings mitspielen. Ralf Leonhard