■ Berlinalie
: Welkende Blütenträume

Heute wären die Berliner Blumenhändler vermutlich froh, wenn die seit den siebziger Jahren diskutierte Verlegung des Großmarktes erfolgt wäre. Denn der in Mauerzeiten ins Auge gefaßte Standort lag für damalige Verhältnisse zwar abseits, ist durch den Mauerfall aber eine geradezu zentrale Adresse geworden.

Was Verlagerung an den Stadtrand wirklich heißt, dürfen die Berliner erfahren, seitdem die vereinigte Stadt schier unübersehbare Ausmaße angenommen hat und sich die Häuserlandschaft hinter der Stadtgrenze nahtlos mit einem Gürtel von Gewerbegebieten fortsetzt.

Der seit über hundert Jahren in Kreuzberg beheimatete Blumengroßmarkt soll nun ins südwestlich von Berlin gelegene Langerwisch umziehen. Dort können die Laster aus Holland ihre Blütenpracht direkt anliefern und müssen nicht mehr durch die Stadt schleichen. Die Verlagerung aber, die wertvolles Bauland im Herzen Berlin freimacht, wird den Beschäftigten und den Kunden teuer kommen. Kaum einer der Beschäftigten, viele davon Kreuzberger, mag den weiten Weg zur Arbeit machen. Und die vielen kleinen Blumenhändler, die sich jetzt täglich selbst mit frischer Ware versorgen, werden auf Zwischenhändler angewiesen sein – was den Verdienst weiter mindert.

Blütenträume aber welken derzeit vielerorten. Berlin erlebt einen dramatischen Abbau von industriellen Arbeitsplätzen. Erst wurden im Osten der Stadt im Elektro- und Metallbereich zwei Drittel aller Werktätigen abgewickelt, nun bauen im Westteil die Firmen wegen der wegfallenden Berlin-Subventionen Arbeitsplätze ab.

Zugleich werden die alten Arbeitsquartiere umstrukturiert. Der größte Kreuzberger Betrieb, die Deutschen Telefonwerke, hat eine nagelneue Fabrik an den östlichen Stadtrand gesetzt. Mancher Kreuzberger Arbeiter wird sich überlegen, ob er nicht auch dorthin zieht. – Bestätigt fühlen dürfen sich die Kreuzberger Autonomen – auch wenn die angeprangerte Umstrukturierung nun auf ganz anderen Wegen daherkommt. Während diese mit feurigen Attacken auf Luxuskarossen den Zuzug des neuen Mittelstands abwehren, wird die spezielle Kreuzberger Mischung von Wohnen und Arbeiten im Kiez durch Arbeitsplatzabbau einfach ausgehölt.

Die traditionellen Gewerbehöfe, wo Handwerker dank niedriger Mieten existieren können, sind zu Spekulationsobjekten geworden. Wo das große Geld einsteigt, bleiben die Kleinen auf der Strecke. Gegen diese stille Vertreibung ist wenig zu machen, der Bezirk Kreuzberg hat kaum Kompetenzen. Paradoxe Situation: Seine notwendige Zustimmung zum Verkauf von Gewerbehöfen kann der Bezirk nur verweigern, wenn der Preis als überhöht erscheint – quasi als Fürsorge für die Spekulanten. Gerd Nowakowski