Nie mehr ein Leben in Normalität

■ Folteropfer sind vor Abschiebung nicht sicher / Zentrum für Folteropfer hilft Flüchtlingen

Im Kofferabteil eines Reisebusses versteckt, gelangte der junge Iraner Omar N. nach Deutschland. Freunde aus der Türkei hatten ihm dieses Versteck besorgt, nachdem er vor dem iranischen Geheimdienst über die Berge in die Türkei geflohen war. Die Bilder der letzten Stunden, die er in seiner Heimat verbrachte, kann Omar N. nicht mehr vergessen: Monatelang war er wegen seiner politischen Widerstandsarbeit gegen das iranische Regime in einem Teheraner Gefängnis schwer gefoltert worden. Halb tot hatte man ihn nach Hause entlassen, wo die Geheimpolizei schon wartete, um ihn erneut zu verhaften. Die Mutter, die sich den Polizisten entgegenstellte, wurde vor seinen Augen erschossen. Neben den Qualen der Folterfolgen bedrückt ihn nun die vermeintliche Schuld am Tod der Mutter.

Hilfe fand Omar N. in Deutschland im Behandlungszentrum für Folteropfer, einer Initiative von 13 Ärzten und Therapeuten, die von den Vereinten Nationen, der Europäischen Gemeinschaft, vom Bundesfamilienministerium, dem Deutschen Roten Kreuz sowie privaten Spendern finanziell unterstützt wird. Der Iraner ist einer von etwa 300 Patienten, die seit der Eröffnung des Zentrums Anfang vergangenen Jahres hier eine medizinisch-interdisziplinäre Behandlung ihrer körperlichen wie seelischen Leiden erfuhren.

Etwa drei Viertel der Folteropfer, die Hilfe im Zentrum suchen, sind Flüchtlinge – vor allem aus der Türkei, dem Libanon, Iran, Irak, Rumänien und aus Syrien. Nur etwa fünf Prozent von ihnen sind als Flüchtlinge mit Bleiberecht anerkannt, sieben Prozent sind sogar akut von der Abschiebung bedroht. Diese Ungewißheit über ihr Schicksal löst bei den Patienten neue Ängste und Psychosen aus, die die Therapie beeinträchtigen, berichtet der Arzt Christian Pross.

Bei Omar N. wurden die Erfolge der monatelangen Therapie von einem Tag zum anderen sogar vollends zunichte gemacht. Ausgestattet mit einer ärztlichen Stellungnahme des Zentrums, das ihm schwerste Folter mit zum Teil bleibenden Folgen bestätigte, fuhr Omar N. gemeinsam mit seiner Anwältin nach Chemnitz, wo das Verwaltungsgericht über seinen Asylantrag entscheiden sollte. Befragt nach persönlichen Daten und Jahreszahlen, so die Anwältin, verhaspelte er sich mehrmals vor Aufregung. Das Gericht befand: Der Asylbewerber ist unglaubwürdig und wird abgeschoben.

Nur selten berücksichtigen die Gerichte nach Angaben der Therapeuten während der Asylverfahren die ärztlichen Gutachten. Besonders schwer sei es für Flüchtlinge aus sogenannten Nichtverfolgerländern, Bleiberecht zu erwirken. Zu ihnen zählt ein 16jähriger Rom aus Rumänien, der sich allein nach Deutschland durchschlug, nachdem beide Eltern während eines Pogroms vor seinen Augen verbrannten. Das jüngste Kind, das im Zentrum als Folteropfer behandelt wird, ist neun, der älteste Patient 73 Jahre alt.

Zunehmend widmet sich das Zentrum auch Patienten, die in Deutschland Opfer rassistischer Gewalttaten wurden. Eine weitere große Patientengruppe des Zentrums sind ehemalige DDR-Bürger, die in den frühen fünfziger Jahren von den Sowjets gefangengenommen oder verschleppt wurden, sowie frühere Stasi-Häftlinge. Für die meisten von ihnen, die jahrelang über ihre Qualen schweigen mußten, wird es ein „Leben in Normalität“ nie mehr geben, betont der Therapeut Norbert Gurris. Für alle Betroffenen sind die Gesprächsgruppen lebenswichtig. Denn hier erfahren sie, worauf auch ein Plakat am Eingang hinweist: Schweigen macht Täter. Renate Oschlies (epd)