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: Klassenkampf?

„Polizeiruf 110“, So., 20.15 Uhr, ARD

Nicht der SM-Video-Nastie mit der fiesen Visage und dem blonden Nazi-Look, sondern unser freundlicher Filialleiter von nebenan ist Jack the East- Ripper. Diese spannende und plausible Wendung des „Polizeiruf“-Krimis ist beruhigend: besonders in einer Zeit, da Politiker und Medienvertreter mit der großen Schere Spalier stehen, um jeden Streifen, in dem jemand zu laut hustet oder versehentlich jemanden auf der Straße anrempelt, wegen Gewaltverherrlichung und -verharmlosung zu verbieten.

Doch damit hat es sich schon. Denn die eigentliche Geschichte um die in ihrer Kindheit vergewaltigte Beate, die sich am Ende am Marktleiter einer West-Ladenkette rächt, ist arg psychologielastig. Und es handelt sich nicht um die beste Psychologie. Der Mittelteil des Films, in dem Beates seelische Qualen weniger dargestellt als nacherzählt werden, zieht sich dahin. Beates Eltern wirken so, als hätten sie auf nichts anderes gewartet, als darauf, ein schlechtes Gewissen zu haben, weil sie ihre Tochter nicht vor dem blonden Scheusal geschützt haben. Das funktioniert alles mehr schlecht als recht.

Auch das Debüt von Michael Kind als Kommissar Raabe ist durchwachsen. Er sollte achtgeben, daß er nicht zum Kommissar Kalauer wird. Der müde Running Gag mit den nicht angezündeten Zigaretten ist nicht eben neu und nervt ab dem zweiten Mal. Allzu sichtbar ist das Bemühen um einen flott erzählten Krimi. Auf der Strecke blieben daher die feinsinnigen Ost-Milieustudien, die ansonsten die Qualität des „Polizeiruf 110“ ausmachen: Wo bleiben die Roots, Leute?

Statt dessen sehen wir einen verkrampften „Tatort“-Verschnitt, streckenweise. Wenn Kommissar Raabe seinen Kollegen im Fitneß-Studio besucht, dann gerieren die beiden sich dort so locker und selbstverständlich wie ein Penner im Dreisterne-Restaurant. Da ist irgend etwas noch nicht ganz zusammengewachsen, was längst hätte zusammenwachsen sollen.

Lustig ist indes nur die Vorstellung, daß die Ladenkette „Tengelmann“ den MDR verklagen könnte: weil einer ihrer Marktleiter als üble Drecksau dargestellt wird. Insofern jemand von den grünen Teuren und nicht von den blauen Preisgünstigen der Übeltäter war (Aldi), kommt am Ende doch noch ein Hauch von Klassenkampf ins Spiel. Aber nur mit erheblicher interpretatorischer Post-Production. Manfred Riepe