Wann stürzt Major endlich?

■ Parteitag der britischen Konservativen in Blackpool / Kontroversen ausgeklammert, Risse übertüncht / Stolpersteine für den Regierungschef

Dublin (taz) – Wie es um den britischen Premierminister John Major und seine Torys bestellt ist, läßt sich an einer Initiative Margaret Thatchers ablesen: Majors Vorgängerin schlug am Sonntag vor, den Sturz des Parteichefs durch eine Änderung der Parteistatuten zu verbieten – jedenfalls solange er noch Premierminister ist. Thatcher, die nach einer Revolte der Hinterbänkler vor knapp drei Jahren ihren Hut nehmen mußte, will die parteiinternen Querelen auf dem Tory-Parteitag, der heute im englischen Seebad Blackpool beginnt, auf ein Minimum beschränken.

Die Statuten waren bereits nach ihrem Sturz geändert worden: Mußten Gegenkandidaten bis dahin lediglich von zwei Tory-Abgeordneten vorgeschlagen werden, so benötigen sie seitdem 34 Unterschriften. Doch selbst das, so fürchtete Thatcher offenbar, könnte Majors Sicherheit nicht garantieren.

Zwar lehnen die meisten Abgeordneten den Vorschlag Thatchers ab, doch das Kabinett nahm ihr Friedensangebot dankbar zur Kenntnis, hatte sie doch in letzter Zeit kaum eine Gelegenheit verstreichen lassen, um Kritik an der Regierung zu üben. Thatchers milde Töne haben freilich einen Grund.

„Jeder realistische Tory-Rechte hat große Angst vor Kenneth Clarke“, sagte ein Parteimitglied. „Sie wissen, daß er sehr zäh ist, und Zähigkeit ist eigentlich eine Eigenschaft der Rechten.“ Doch Schatzkanzler Clarke, der unter Experten als Nachfolger Majors gehandelt wird, hat den rechten Parteiflügel seit seinem Amtsantritt Anfang des Jahres wiederholt brüskiert.

Ärger über die Mehrwertsteuer auf Heizöl

So hat er die Forderung der Rechten, beim Haushaltsplan im November die Ausgaben zu kürzen anstatt die Steuern zu erhöhen, als „irregeleitete Beschwerden von ein oder zwei meiner Hinterbänkler“ abgetan. Besonders ärgerlich sind die Abgeordneten über die Mehrwertsteuer, mit der Heizöl belegt werden soll, weil sie um ihre lukrativen Sitze bangen – zu Recht: Eine Umfrage der Times hat in der vergangenen Woche ergeben, daß 92 Prozent der Befragten gegen diese Steuer sind, zumal die Regierung im Wahlkampf 1992 die Besteuerung von Heizöl rundweg abgelehnt hatte.

In Blackpool ist das Thema in dieser Woche tabu, das Kabinett hat eine Debatte darüber untersagt. Ob sich alle daran halten werden, bleibt abzuwarten. Dennoch wird Major auch in einer Woche noch Parteichef und Premierminister sein, wenn er auf dem Parteitag kein Eigentor schießt. In einem Jahr sieht das jedoch anders aus. Bei den Torys setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, daß sie sich mit Major eine Übergangslösung eingehandelt haben. Seine Politik ist keine Alternative zum Thatcherismus, sondern ein „auf Autopilot geschalteter Thatcherismus“, wie John Gray vom Jesus College in Oxford es bezeichnete. Der entscheidende Unterschied ist, daß Major die Stimmung in der Bevölkerung nicht richtig deuten kann.

Seine Vorgängerin war Meisterin in diesem Fach: Mehr als ein Jahrzehnt gelang es ihr, immer im richtigen Augenblick zurückzustecken, um gerade so viele WählerInnen zu becircen, wie für eine Wiederwahl notwendig waren. Erst als sie die umstrittene Kopfsteuer trotz aller Warnungen aus der eigenen Partei gegen den Willen der Bevölkerung durchsetzen wollte, war es um ihre Karriere geschehen.

Majors trügerische Hoffnung auf den Aufschwung

Auf Major lauern viele „Kopfsteuern“: Neben der Mehrwertsteuer auf Heizöl könnte er über die Privatisierung der staatlichen Eisenbahn, über die Staatsverschuldung, über die Kommunalwahlen im Mai, die Europawahlen im Juni oder über die Besteuerung der Invalidenrente stolpern. Der Regierungschef rechnet offenbar damit, daß der wirtschaftliche Aufschwung – der seit einem Jahr beschworen wird, bisher jedoch kaum sichtbar ist – sein Rettungsanker werden könnte. Diese Hoffnung ist jedoch trügerisch. Die Bevölkerung hat längst das Vertrauen in die ökonomischen Fähigkeiten der Regierung verloren, so daß der Aufschwung, sollte er denn kommen, ihr kaum noch zugute gehalten würde.

Die Torys sind nicht nur ausgebrannt, sondern sie können diese Tatsache nicht mehr länger kaschieren. Der Wahlsieg im April 1992 traf sie unerwartet und unvorbereitet, weil sie sich insgeheim auf ein paar Jahre in der Opposition eingestellt hatten, die sie auch dringend zur Regenerierung benötigt hätten.

Die Zeit arbeitet für die Labour Party, der es auf ihrem Parteitag in der vergangenen Woche gelungen ist, traditionelles Tory-Territorium zu besetzen – so will sich Labour zur „Law-and-order-Partei“ aufschwingen.

Der britische Regierungschef hockt dagegen zwischen allen Stühlen: War er als Kandidat der Parteirechten an die Macht gekommen, so hat er deren Vertrauen inzwischen verloren, ohne sich jedoch der Parteilinken angenähert zu haben. Die Frage ist nicht mehr, ob Major gestürzt wird, sondern wann und von wem. Ralf Sotscheck