■ Seitenstich
: Sensationell: Kleist brauchte Geld

Jahrein, jahraus haben wir um ihn gebangt: Wo ist nur der Oldenburger Literaturwissenschaftler Prof. Dirk Grathoff abgeblieben, wo? Jetzt funkte es dpa in die Welt hinaus: „In jahrelanger kriminalistischer Kleinarbeit“ löste er das Rätsel der Reise des Heinrich von Kleist nach Würzburg im Jahre 1800.

Es ist also wirklich kein Rätsel so groß, daß es Bestand haben könnte vor der Kleinarbeit der Literaturwissenschaft! Jahrelang raschelte Grathoff kriminalistisch in den gilben Würzburger Hotelgastverzeichnissen herum, bis er dem Dichterschlingel draufkam: Kleist hatte sich nämlich, in grober Unterschätzung der Kleistforschung, unter falschem Namen eingemietet. Vergeblich! Wenig später gelang dem Prof. Grathoff auch noch der Nachweis, daß zeitgleich ein notorisch freimaurerischer Arzt und ein exilierter schlesischer Graf in Würzburg weilten. Was tat also Kleist in Würzburg? Er war auf Kontakte zu gewissen Freimaurern aus! Höchstwahrscheinlich! Und warum? Er brauchte Geld!

Jetzt ist es gesagt; und die Kleistforschung wird noch einmal ganz von vorne anfangen müssen. Aber immerhin: Bisher konnten die Literaturwissenschaftler immer nur verlegen auf ihren Lehrstühlchen umherruckeln, wenn die Nachwelt kam und wieder einmal Auskunft und schonungslose Klarheit verlangte über die Würzburger Reise. Von einer „Geschlechtsoperation“ nuschelte dann der eine, und der andere munkelte von Industriespionage: Kleist sei womöglich im Auftrage Preußens hinter der Geheimmixtur her gewesen, die der Farbenfabrikant Georg Pickel für sein „Pickel-Grün“ verwendete.

Ach, was täte nur speziell die Literaturwissenschaft, wenn sie sich nicht vor der endgültigen Vertrottelung immer wieder in den härtesten Dienst an der Wahrheit retten könnte, von der Kleinarbeit zu schweigen! Seitens der Nachwelt wollen wir schon einmal gebieterisch daran erinnern, daß das Rätsel um des Dichters Würzburger Verzehrquittungen noch gänzlich ungelöst ist. schak