Ein Satz aus Mainhattan

■ Zu Null. (Szene aus dem Nachmittag eines Schriftstellers.)

Als der Frankfurter Schriftsteller Bodo Kirchhoff, der vor Jahren mehrere Bücher geschrieben hatte, an diesem Septembermorgen auf seinem spurtstarken Fahrrad durch eine beglückende Wärme fuhr, vorbei am Rest einer geschlagenen Armee, viele mit hängenden Hosen, im weißen Bein die Nadel, vorbei an rumänischen Betrügern, türkischen Dieben, polnischen Schiebern, freundlichen Leuten im Grunde, sollen sie doch bleiben, am Operncafé vorbei, wo er eine seismographische Raucherin sitzen sah, die ihn an die Ella denken ließ, die erste in seinem Leben, die von ihm etwas forderte, seine Wachheit, seine Zeit, seinen Samen, als der Schriftsteller Bodo Kirchhoff, der, noch immer auf seinem spurtstarken Fahrrad, die Lindenstraße erreicht, das Suhrkamp-Haus betreten, den Pförtner begrüßt, den Aufzug genommen und den Verleger Siegfried Unseld begrüßt hatte, beim zerstreuten Herumsehen auf dem Schreibtisch des Verlegers, war er in Gedanken doch noch bei Ella, bei der Ironie aus ihrem Mund, den schon sein Samen gefüllt hatte, auf diesem Schreibtisch ein zerfleddertes Buch entdeckte, ziemlich gelb und dünn oder vielmehr orange oder noch genauer kreß, ja, kreß gehaltenes Buch mit dem merkwürdigen Titel „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“, nahm er das Buch sofort in die Hand, ließ sich von dem Verleger Siegfried Unseld bestätigen, daß dieses gelbe oder kresse Buch in Tat und Wahrheit vom Fußball handele, einer Sportart, von der der Schriftsteller Bodo Kirchhoff erst neulich wieder einen älteren Kollegen hatte erzählen hören, der Schriftsteller Bodo Kirchhoff also, der niemanden kannte, der sich diesem offenbar reichlich uneleganten Sport hingab, der seinerseits, wenn er nicht auf seinem spurtstarken Fahrrad unterwegs war, gern, machmal sogar leidenschaftlich gern Tennis spielte, schlug dem Verleger Siegfried Unseld kurzentschlossen einen Ballwechsel, gewissermaßen einen Paradigmenwechsel, vor, die Übertragung der Mordgeschichte vom Fußball auf das Tennisspiel, eine Geschichte des Tennis mit einem Spieler, Jonas, der es bis Platz 64 der Weltrangliste gebracht hat, einem Spieler, der eine Bluttat beging, hier in Frankfurt, im Operncafé, während Deutschland zum Kontinent schwoll, sollte es geschehen, sollte Jonas' Schlagarm das Messer beschleunigen, sollte der Weltranglistenvierundsechzigste einen Nebenbuhler erstechen, ins Gefängnis gehen dafür, nach der Entlassung, weil das, wie der Schriftsteller Bodo Kirchhoff wußte, alle Verbrecher tun, zum Schauplatz der Bluttat zurückkehren, ins Operncafé, um mit einer Frau in der Herrentoilette des Operncafés, wo sie seinen Samen fordern würde, zusammen zu sein und anschließend ... –, aber weiter kam der Schriftsteller Bodo Kirchhoff nicht, denn ruckartig erwachte er in den letzten noch spendablen Strahlen vor dem Operncafé von dem lauten Knall, mit dem die Luft aus dem Hinterreifen seines spurtstarken Fahrrads entwich, den ihm ein Feind, ein Kritiker bestimmt, der ihm keine Atempause in der Unendlichkeit seiner Schwermut gönnte, aufgeschlitzt hatte, worauf sich der Schriftsteller Bodo Kirchhoff vor Schreck das weiße Tennishemd von oben bis unten mit der Tomatensoße seiner Spaghetti Napoli bekleckerte. Willi Winkler

Bodo Kirchhoff: „Gegen die Laufrichtung“. Novelle. Suhrkamp- Verlag, 88 Seiten, geb., 26 DM