Affektierte Ohnsorg-Scharade

■ „Die Kriegstreiberin“ wurde in Oberhausen uraufgeführt

Es gibt ja diverse Möglichkeiten, einen gelungenen Text auf dem Theater brutal untergehen zu lassen; dem hellsichtigen Aberwitz der Kölner Autorin Lisa Wilczrok ist die Oberhausener Uraufführung jedenfalls in keiner Hinsicht gerecht geworden.

Das Lustspiel genannte Stück ist lokalisiert in einem unterirdischen Atombunker einer ziemlich nahen Zukunft, wo „im Ernstfall“ die führenden Herren aus Politik und Wirtschaft luxuriös eingelagert werden, auf daß uns ihre Kompetenzen auch danach nimmer verlorengehen. So ein Bunker eben wie der real existierende unweit von Bonn. Ausgestattet mit neuestem High-Tech für Arbeit und Freizeit, nehmen hier sechs Frauen eher unfreiwillig an einem Experiment teil, das sich ein paar andere, sehr herrliche „Stützen der Gesellschaft“ ausgedacht haben. Drei Entertainer, drei Richter und drei Ärzte halten diese sechs unterschiedlichen Frauen da unten im goldenen Käfig fest, ausgesuchte Varianten wohlfeiler Männerphantasien: die Mutter, die Managerin, die Krankenschwester, eine Nutte, eine Aerobic-Sekretärin, eine Emanze. Sie alle werden getestet, beäugt, beleidigt, ermuntert, ermahnt und verachtet.

Und wenn die Außenwelt auch noch so deutliche Katastrophen- Signale in den Bunker abstrahlt – hier herrscht die durchtriebene Munterkeit der Entertainer vor, denen Lisa Wilczok eine knallig zynische Sprache gekonnt in die ungerührten Münder gelegt hat. So antworten die Animateure auf die verzagte Frage einer der Frauen, ob oben die Erde noch im Gleichgewicht sei: „Da ist alles beim alten. Was sich liebt, das neckt sich.“ „Aber die da unten in der Dritten Welt“, gibt sich ein anderer kritisch, „die machen mir schon ein bißchen Kummer. 6.000 Kilogramm Plutonium haben unsere Jungs nach Argentinien geliefert.“ In süffisanten Selbstanklagen – „Ja, wir sind kaputte Schweine“ –, die sich mit kalten Haßausbrüchen gegen die „scharfen Weibsstücke“ abwechseln, vertreiben sich die Männer ihre Zeit im Bunker.

Der Abstand zwischen diesen Typen und den Frauen könnte größer nicht sein. Allerdings sind die weiblichen Figuren keineswegs als bloße Opfer angelegt. Lisa Wilczok läßt ihnen durchaus manch gurrend opportunistische Neigung zur Mittäterin der imperialen Herren. Und lobend anerkennend dann auch der „Spitzenpolitiker“: „Die Frauen ... ihre Opferbereitschaft hat vieles möglich gemacht.“

Ausgesprochen anpassungsfähig benehmen sich auch die meisten Frauen im Bunker. Peggy, die Managerin, übernimmt eilfertig den Part, die zunehmend verstörten Frauen bei Laune zu halten: „Unser Bunker ist unser Lebensraum. Wir alle sind rundum versorgt ... Innenausstattung war schon immer eine Sache von Frauen.“ Der Stücktext ist explosiv aufgeladen mit solch notorisch beschränkten Sprüchen. Weibliche wie männliche Redensarten, die zündend aufeinanderknallen und ein weites Feld von Trostlosigkeit hinterlassen, nur gelegentlich aufgemischt durch eine schon groteske Wut. Die Inszenierung in Oberhausen ist der Intelligenz des Stückes allerdings überhaupt nicht auf die Spur gekommen. Da reden die Schauspieler in eifrig fixem Tempo, entledigen sich offenbar unbeeindruckt der sarkastischen Sprache. Alle Gestik ist überzogen, in Barbie-Puppen-Manier werden Klischees abgeliefert, die Absurdität der Situation wird hemmungslos einem nur noch blöd vordergründigen Humor geopfert.

Die grauenvolle Grellheit der Entertainer-Anzüge läßt einen wirklich erschaudern. Wie kann man alerten, psychologisch genau durchkalkulierten PR-Animateuren von heute nur Rüschenhemden der 60er Jahre verpassen, mit fiesen Kunstlederjacken aufgepeppt, und dazu blonde Langhaarperücken? Solche tumben Ekelpakete im Proli-Look entschärften vollends die eiskalten Botschaften der Dunhill-Boss-Generation; die doch eher in kühler Rohseide-Dekadenz daherkommt. Die in Oberhausen gebotene häßliche Ästhetik von vorgestern hat dem uraufgeführten Text jegliche Spitze genommen. Was blieb, war kaum mehr als eine affektierte Ohnsorg- Scharade. Marianne Bäumler

Inszenierung: Ulrike Maack, Kostüme: Lars Peter, die nächsten Spieltermine: 14., 15., 17. Oktober. Das Stück ist erschienen im Autorenverlag Schmidt u. Scherrer, Köln 1992.