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Der Spiegel der Philosophie

Jacques Lacans enge und schwierige Beziehungen zu den bedeutendsten Philosophen seiner Zeit  ■ Von Didier Eribon

Jean Beaufret wußte ein sicheres Mittel, Lacan zum Reagieren zu bringen. Dieser junge Philosoph, Schüler und Freund Heideggers, begann 1951 eine Analyse bei Lacan. Als ihn eines Tages die reservierte und schweigende Haltung Lacans in Rage brachte, sagte er ihm ganz einfach: „Heidegger hat mit mir über Sie gesprochen“, worauf Lacan mit Vehemenz reagierte: „Was hat er Ihnen gesagt?“ Diese kleine, von Elisabeth Roudinesco berichtete Szene zeigt recht deutlich das Bedürfnis nach Anerkennung, das Lacan trieb, sie konzentriert auch ein ganzes Kapitel der Geschichte des französischen Denkens; denn Beaufret ist kein X-Beliebiger. Um seine Rolle zu begreifen, muß man bis zum Jahre 1946 zurückgehen. Zu diesem Zeitpunkt steht Heidegger unter dem Druck der Entnazifizierung; er war gerade von der Universität verwiesen worden. Beaufret jedoch, durch seine Beteiligung an der Résistance unverdächtig, will in dem einsamen Denker im Schwarzwald nur den Autor eines bedeutenden Buches sehen – „Sein und Zeit“ (1927). Er bewunderte Heidegger vor dem Krieg und bewunderte ihn auch danach, obwohl er von seinem politischen Engagement wußte. Er schreibt ihm und besucht ihn kurz darauf. Heidegger ist nicht blind: Er sieht sehr wohl den Nutzen, den er aus dem Enthusiasmus dieses interessierten Schülers zu ziehen vermag. Und tatsächlich nimmt Heidegger, verbannt und isoliert im eigenen Land, über Frankreich dank Beaufret wieder Platz in der vordersten Reihe der philosophischen Szene. Heidegger schreibt seinem Schüler einen langen Brief, mit dem er in die intellektuelle Debatte eingreift, die in Frankreich abläuft. Er ist als der berühmte „Brief über den Humanismus“ bekannt geworden, in dem Heidegger die damals vorherrschende existentialistische Lesart seines Werkes zurückwies, die nach dem Erscheinen von Sartres „Das Sein und das Nichts“ populär war. Die Thesen von Sartres erstem großen Werk waren gerade durch „Der Existentialismus ist ein Humanismus“, einen Vortrag an der Sorbonne, der Öffentlichkeit vorgestellt worden.

Das Dekor ist gerichtet. Als Beaufret sich auf der Couch Lacans befindet, wird bereits die Begegnung zwischen dem französischen Psychoanalytiker und dem deutschen Philosophen am Horizont sichtbar. Sie findet Ostern 1955 statt, als Beaufret Lacan mit nach Freiburg nimmt. Beaufret spielt den Übersetzer, Heidegger und Lacan beginnen eine Diskussion über den Begriff der Übertragung. Drei Monate später wird in Cerisy ein Kolloquium über das Werk Heideggers veranstaltet. Bei dieser Gelegenheit sind Heidegger und seine Gattin für einige Tage Gast im Landhaus Lacans. Die Ehefrau Lacans – Sylvia Bataille, Darstellerin in Renoirs Film „Eine Landpartie“ – fühlt sich äußerst belästigt durch den von Frau Heidegger zur Schau getragenen Antisemitismus. Es scheint jedoch, daß Lacan seinerseits sich kaum um die Nazivergangenheit seines Gastes kümmert. Ihn interessiert allein der Dialog, den er mit ihm anzuknüpfen hofft; und natürlich auch die intellektuelle Legitimität, die er glaubt daraus ziehen zu können; denn aus dem Buch Elisabeth Roudinescos geht hervor, daß Lacan leidenschaftlich intellektuelle Anerkennung suchte, die in seinen Augen aber nur zögerlich kam.

Es ist hinzuzufügen – die Beweisführung Elisabeth Roudinescos überzeugt hier vollends – daß Lacan nicht als „Heideggerianer“ bezeichnet werden kann. Gewiß hatte er Heidegger seit den dreißiger Jahren gelesen. Diese Lektüre hatte ihn stark beeinflußt. Er entdeckt zu Beginn der fünfziger Jahre durch Vermittlung Beaufrets einen Heidegger, der sich stark von demjenigen unterscheidet, den er glaubte gelesen zu haben. Schon 1953, zum Beispiel in seinem berühmten „Discours de Rome“, in dem die erneute Lektüre Heideggers ein deutliches Zeichen setzt, wendet er sich von Hauptthemen der Heideggerschen Philosophie ab, insbesondere von ihrer apokalyptischen Vision der Wissens. Man kann also sagen, daß Lacan das Werk Heideggers zu einem Zeitpunkt verwendete, in dem es der Entfaltung seiner eigenen Lehre nutzen konnte. Sartre sagte: „Was spielt es für eine Rolle, daß es Heidegger ist, wenn wir unser eigenes Denken in dem eines anderen wiedererkennen.“ Dieser Satz trifft genau die Beziehung Lacans zum Heideggerschen Text, wenn man die besondere Ironie bedenkt, daß Lacan das Heideggersche Denken gegen Sartre einsetzt: gegen Sartres Philosophie des schöpferischen Bewußtseins, der Freiheit des Subjekts. Es ist Beaufrets antisartrischer Heideg

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ger, der Lacan nun sehr zupaß kommt, in dem Augenblick, in dem er die Lehre Freuds auf Grund jener Methoden neu definiert, die er der Anthropologie von Lévi-Strauss und der Linguistik Jakobsons entnimmt.

Denn Sartre war der große Gegner Lacans, mindestens seit Erscheinen von „Das Sein und das Nichts“ im Jahre 1943. Man schreibt immer gegen jemanden; und Lacan schrieb gegen Sartre. Dies wird nicht immer klar; denn Lacan selbst ließ nachträglich, als er seine alten Texte in den „Ecrits“ 1966 aufs neue veröffentlichte, alles das aus, was darauf hinwies, daß Sartre seine negative Referenz, seine bevorzugte Zielscheibe war; und folglich derjenige, angesichts dessen er sein Werk entwarf. Dies wird offensichtlich, wenn uns Elisabeth Roudinesco die erste Version des Textes aus dem Jahre 1945 über „Le Temps logique“ zeigt, in der Lacan deutlich auf „Huis clos“ („Hinter geschlossenen Türen“) anspielt, jenes Stück, das Sartre gerade hat aufführen lassen: „Wir gehören nicht zu diesen jüngsten Philosophen, für die der Zwang von vier Mauern nur eine weitere Bedingung für das Allerfeinste der menschlichen Freiheit ist.“

Aber weder die tiefe Abneigung gegen das Denken Sartres noch die Begegnung mit Heidegger Mitte der fünfziger Jahre sind die ersten philosophischen Funken, die auf Lacans Werk fielen. Eine andere Begegnung, vielleicht noch entscheidender, fand zwanzig Jahre vorher statt. Lacans intellektuelles Schlüsselerlebnis der Vorkriegszeit war zweifellos zwischen 1934 und 1937 seine Teilnahme am Seminar von Alexandre Kojève in der 5. Sektion der „Ecole pratique des Hautes Etudes“. Man hat tausendmal im Laufe der letzten Jahre die Bedeutung Alexandre Kojèves für eine ganze Generation betont. Die Liste derjenigen, die an den Veranstaltungen teilnahmen, in denen er Hegels „Phänomenologie des Geistes“ kommentierte, kann in der Tat beeindrucken: Georges Bataille, Maurice Merleau-Ponty, Pierre Klossowski, Raymond Aron, Eric Weil ...

Für Lacan brachte die Begegnung mit Kojève die Öffnung hin zur deutschen Philosophie, die ihm erlaubte, der Sklerose der traditionellen Sprache der französischen Psychiatrie zu entkommen. In dieser Zeit bilden Husserl, Hegel, aber auch Heidegger, den er durch Kojève entdeckt, den Horizont seines Denkens. Im Jahre 1936 wollen Kojève und Lacan zusammen eine Studie verfassen, die den Titel tragen soll: „Hegel und Freud: Versuch einer Deutungskonfrontation“. Kojève macht sich an die Arbeit – eine Arbeit, die bald unterbrochen wird: sein Text wird nie veröffentlicht. Elisabeth Roudinesco jedoch kann zeigen, daß diese fünfzehn von Kojève verfaßten Seiten drei bedeutende Konzepte enthalten, die Lacan in seiner „theoretischen Wende“ von 1938 verwenden wird: das Ich (je) als Subjekt des Begehrens, das Begehren als Offenbarung des Seins, das Ich (moi) als Ort der Illusion und Quelle des Irrtums. Der „hegelianische Meister“, schließt Elisabeth Roudinesco, hatte also das Wissen seines Schülers integriert, und es ist nicht unwichtig festzustellen, daß gerade in dieser zweistimmigen Arbeit die Elemente der Lehre Lacans entstanden, so wie sie sich knapp vor dem Kriege definieren sollte. Man sieht also, daß der direkte und lebendige Kontakt mit der Philosophie das Denken Lacans anreicherte, und zwar von Anfang an.

Bald nach den fünfziger Jahren und dem Gedankenaustausch mit Heidegger nährte sich Lacan von der Philosophie – er, der im Begriff war, sich unter ihren Augen zu formen. Zum Beispiel wird „Kant avec Sade“, sein Artikel aus dem Jahre 1962, von der Lektüre von Michel Foucaults Studie „Wahnsinn und Gesellschaft“ („Histoire de la Folie“) durchkreuzt, die gerade erschienen war. Lacan hörte nicht auf, die Philosophen zu lesen; Anfang der sechziger Jahre war die Zeit gekommen, in der die Philsophen begannen, ihn zu lesen, ihn zu diskutieren, ihn zu kritisieren und ihm damit die Anerkennung zu verschaffen, die er erwartete. Sartre antwortete ihm in einem polternden Interview, das in der Revue L'Arc 1966 veröffentlicht wurde, um aufs neue die Rechte der Subjektivität gegen Lacans Lehre von der „Dezentrierung“ des Subjekts geltend zu machen: „Die Philosophie, das sind Fragen an den Menschen, das heißt an das Subjekt der Geschichte. Dabei ist es kaum wichtig, ob dieses Subjekt dezentriert oder nicht dezentriert ist. Das Wesentliche ist nicht, was man aus dem Menschen gemacht hat, sondern was er mit dem macht, was man aus ihm machte.“ Im Widerspruch dazu veröffentlicht Louis Althusser 1963 in La Nouvelle Critique, der intellektuellen Zeitschrift der Kommunistischen Partei, seinen Artikel über „Freud und Lacan“. Er stimmt hier eine Lobeshymne über die „Rückkehr zu Freud“ an, die Lacan predigte, und das an einem Ort, wo die Psychoanalyse keine gute Presse hatte. Die Kommunistische Partei bezeichnete die Psychoanalyse damals noch als eine „bürgerliche Wissenschaft“. Zwischen diesen beiden Positionen – von Sartre und Althusser verkörpert – mußte, wer in der französischen Philosophie zählte, das Werk Lacans rezipieren, sei es als Inspiraton oder als Affront. Oder beides nacheinander, wie im Fall von Michel Foucault, der in „Les Mots et les Choses“ (1966) (deutsch „Die Ordnung der Dinge“, 1969) der Spur von Jakobson, Lévi-Strauss und Lacan folgte und zehn Jahre später, in „La Volonté de Savoir“ (dt. „Sexualität und Wahrheit“, 1977) das Unternehmen einer monumentalen „Geschichte der Sexualität“ beginnt, die größtenteils gegen Lacan und den Lacanismus gerichtet ist. Zu erwähnen ist hier auch „Anti-Ödipus“ von Deleuze und Guattari, ein Werk, das sich auf Lacan stützt, um eine radikale und vernichtende Kritik der psychoanalytischen Orthodoxie, aber auch der Entwicklung des Lacanismus in Gang zu setzen.

Und wie sollte man vergessen, daß die theoretischen Wege Jacques Derridas oft diejenigen Lacans kreuzten und daß mehrere Texte Derridas einer kritischen Lektüre Lacans gewidmet sind. Der berühmteste ist die beharrliche und unbarmherzige Demontage des „Séminaire“ von Lacan über den „Gestohlenen Brief“ von Edgar Allan Poe.

Man fände kein Ende, wollte man alle Texte der zeitgenössischen Philosophie aufzählen, in denen der Name Lacans in positivem oder negativem Bezug erscheint.

1990 fand in Paris ein Kolloquium über das Thema „Lacan mit den Philosophen“ statt. Mehrere Redner fragten sich, wie man bei einem solchen Titel das Wort „mit“ verstehen müsse. Ganz sicher in mehrfacher Bedeutung. Und wenn Derrida im Laufe seines Eingriffes in die Diskussion ein wenig provokant verkündet: „Lacan und ich, wir haben uns sehr geliebt“, so resümiert er vielleicht nur, was man über die engen und schwierigen Beziehungen Lacans mit der Philosophie und mit den Philosophen sagen kann, nämlich daß sie sich „sehr geliebt“ haben – mit allen Schwierigkeiten und allen Mißverständnissen, allen Umwegen und allen Strategien, die die Liebe mit sich bringen kann.

Le nouvel observateur.

Elisabeth Roudinesco: „Jacques Lacan. Esquisse d'une vie. Histoire d'un système de pensée“, Fayard, 723 Seiten, 180 FF

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