Rechnungshof will größere Klassen

■ Interner Bericht macht Klassengröße für Unterrichtsausfall verantwortlich / Gewerkschaft befürchtet überquellende Klassenzimmer / Schulbehörde schweigt

Der Zeitpunkt ist auffällig: Wenige Tage vor möglichen Koalitionsverhandlungen gelangte gestern ein interner Bericht des Hamburger Landesrechnungshofs an die Öffentlichkeit, in dem größere Klassen gefordert werden.

Fast jede 20. Unterrichtsstunde (4,3 Prozent) würde an Hamburgs Schulen ausfallen, heißt es in einem Bericht des Hamburger Abendblatts. Dies habe eine exemplarische Erhebung ergeben, die der Rechnungshof in der Woche vom 4. bis zum 8. Mai 1992 an fast allen Hamburger Schulen durchgeführt hatte. Ein Grund für die Unterrichts-Defizite seien zu kleine Klassen. Neun Prozent der Klassen seien „unnötig“, weil die erlaubten Klassenstärken unterschritten werden. Der Rechnungshof fordere die Schulbehörde daher auf, die Klassen zu vergrößern, damit die Zahl der Unterrichtsstunden reduziert wird.

„Es ist nicht unsere Art, etwas zu veröffentlichen, wenn es mit der Behörde noch nicht abgestimmt ist“, sagt dazu Günter Lempelius vom Hamburger Rechnungshof. Sein Amt habe die Indiskretion keinesfalls begangen. Es sei aber richtig, daß der Unterrichtsausfall geprüft wurde. Die Ergebnisse hätten frühestens im April 1994 publik werden sollen.

Auch in der Schulbehörde zeigte man sich gestern überrascht. Noch unmittelbar vor der Wahl hatte Schulsenatorin Rosemarie Raab versichert, die Vergrößerung der Klassenfrequenzen sei für sie die „allerletzte Möglichkeit“. Zu einer offiziellen Stellungnahme sah sich die Behörde gestern noch nicht in der Lage. Der Bericht liege vor, man wolle sich den Zeitpunkt einer Stellungnahme jedoch nicht von außen diktieren lassen, erklärte Behördensprecher Ulrich Vieluf.

Anders die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft: Die Vorschläge des Rechnungshofes seien „fernab der Schulwirklichkeit am grünen Tisch ersonnen“, sagt GEW-Sprecherin Anna Ammonn. Ihre Umsetzung wäre „pädagogisch unverantwortlich.“

Zum Hintergrund: Schon heute gibt es die sogenannte „schülerbezogene Lehrerzuweisung“, die die Zahl der Unterrichtsstunden von der Zahl der Schüler abhängig macht. Lediglich bei den Klassen, die aus regionalen oder pädagogischen Gründen stark von der Orientierungsfrequenz abweichen, wird durch eine Extra-Zuweisung der Unterricht garantiert.

Doch an eben diese Extra-Stundenzuweisung will der Rechnungshof ran. Es sei zu überlegen, ob eine Zusammenlegung von Klassen nicht auch dann sinnvoll ist, wenn eine „deutlich über der Orientierungsfrequenz liegende Klassenstärke“ erreicht würde, heißt es im Bericht. Bislang wurde jede Klasse geteilt, wenn sie um 10 Prozent über der Orientierungsfrequenz lag, eine Richtgröße, die je nach Schulform zwischen 25 und 28 Schülern variiert. „Wenn sich der Rechnungshof durchsetzt, haben wir bald wieder Klassen mit 34 und mehr Schülern“, fürchtet die GEW-Sprecherin. Kaija Kutter