MANFRED PETER HEIN

Foto: Juraj Lipták

„Ich bleibe // ich sehe“ – die Schlußzeilen des Gedichts „Ich sehe“ von 1965 enthalten in nuce ein Selbstportrait Manfred Peter Heins. 1931 in Darkehmen/Ostpreußen geboren, das im Dritten Reich als Angerapp eingedeutscht wurde, erlebt er, noch ein Kind, die Zerstörung der ostjüdischen und dann der ostpreußischen Kultur. Nach dem Krieg, nach vielen „Fluchtquartieren“ (so der Titel eines weiteren Gedichts), nach Abitur und Studium der Finnougristik siedelt er 1958 nach Finnland über. In Espoo, einer Nachbarstadt Helsinkis, lebt er seit nunmehr 35 Jahren: „Ich habe den Winter gewählt / und deshalb dies Land / das alles verdeckt // auch mich, mich selber //... ich bleibe // ich sehe“. Manfred Peter Hein ist in Finnland geblieben. Das „Sehen“, die Wahrnehmung steht am Anfang seiner Lyrik, sie führt zur Sprache, zum Wort, zum unregierbaren Zeichen.

Diese Lyrik hat es in Deutschland schwer gehabt. Nach Erfolgen der beiden ersten Gedichtbände „Ohne Geleit“ (1960) und „Taggefälle“ (1962) wurde es still um Manfred Peter Hein. Die Kritik warf ihm Hermetik vor, eigensinnige Behauptung der Singularität des Gedichts, seinen hohen Ton. Das war in den späten sechziger und siebziger Jahren, als das politische Gedicht und „neue Subjektivität“ mit offenen und beliebigen Formen die Szene beherrschten, ein harsches Urteil, welches Nichtbeachtung und Totschweigen nach sich zog. Erst 1984, als ihm der Peter-Huchel-Preis verliehen wurde, erkannte man seine besondere Position an. Es wurde klar, daß er weniger an die westeuropäische Moderne anknüpfte, sondern seine Autorität vielmehr aus der östlichen Tradition der Moderne (Ossip Mandelstam, Edith Södergran) bezog. Deutlich wurde nun auch, im Rückblick, die immer kompromißlosere Ausräumung des dichterischen Vokabulars hin zu äußerster sprachlicher Konzentration, in der das einzelne Wort im Mittelpunkt steht. „Auch in dieser Hinsicht war Finnland eine Scheidelinie“, schreibt hierzu Henning Vangsgaard. „Wenn die eigene Sprache bedroht ist, gewinnt das einzelne Wort an Bedeutung. Es muß abermals ertastet, geschmeckt und gefühlt werden, wenn der alltägliche Fluß der Muttersprache fehlt.“ Gleichzeitig, ebenfalls 1984, machte Gregor Laschen als erster darauf aufmerksam, wieviel Zeitgeschichte in Heins Lyrik eingegangen ist. Viele der angeblich unverständlichen Zeichen beziehen sich auf politische Brüche und Widersprüche im Nachkriegseuropa. Ende der Utopie, Schrecken, Unheil, Rede der Überlebenden mit den Toten bestimmen mehr und mehr Form und Thematik der Gedichte, die in ihrer kompromißlosen Kargheit und fragmentarischen Archaik an eine verlorene Totalität erinnern. Joachim Sartorius

Bibliographischer Kurzhinweis:

„Zwischen Winter und Winter. Gedichte.“ Rowohlt, 1987.

„Ausgewählte Gedichte.“ Amman, 1993.

Im Frühjahr 1994 erscheint bei Amman, Zürich, der Gedichtband „Über die dunkle Fläche“. Dem Manuskript zu diesem Band sind die Gedichte „Buch der Unruhe“, „Meilerrauch“, „Zilpzalp“ und „V Krieg“ entnommen. Sie sind Erstveröffentlichungen.

Manfred Peter Hein ist auch ein glänzender Übersetzer finnischer Lyrik ins Deutsche (von Haavikko, Melleri etc.) und Herausgeber des großangelegten Editionsunternehmens TRAJEKT und der 1991 erschienenen vielgelobten Anthologie „Auf der Karte Europas ein Fleck“, Gedichte der osteuropäischen Avantgarde 1910 bis 1930.