■ In Westbosnien führen Muslime gegen Muslime Krieg: Angst vor einem Separatfrieden
Serben gegen Kroaten, Muslime gegen Serben, Kroaten gegen Muslime und jetzt auch noch Muslime gegen Muslime. Der Krieg auf dem Balkan wird immer verworrener. Doch folgt die Unübersichtlichkeit durchaus einer Logik, hat Ursachen und Folgen. Auch der neueste Friedensvorschlag von EG und UNO, der vom bosnischen Parlament abgelehnt wurde, sieht ein muslimisches Rumpfgebilde um Sarajevo und eine muslimische Exklave in Westbosnien um Bihać vor, die durch einen 150 Kilometer breiten serbischen Korridor voneinander getrennt sind.
Just in dieser Exklave, die seit 18 Monaten von kroatisch-serbischen und bosnisch-serbischen Kräften völlig umzingelt ist, sind nun die muslimisch-muslimischen Kämpfe ausgebrochen. Nachdem Fikret Abdić seine „autonome Provinz Westbosnien“ ausgerufen hat, sah sich die Zentralregierung in Sarajevo gezwungen, die vor Ort stationierten Einheiten der bosnischen Armee zur Übernahme der lokalen Verwaltung aufzurufen, um einem Separatfrieden zuvorzukommen. Während die politische Elite in Sarajevo noch auf Geländegewinn und einen direkten Zugang zur Adria hofft, tendieren in der Exklave um Bihać, für die sich bei etwaigen Neu- oder Nachverhandlungen ohnehin nichts mehr verändern wird, starke Kräfte zu einem sofortigen Friedensschluß.
Der lokalen Elite ist die Normalisierung der Handelsbeziehungen mit den umliegenden Gebieten schon seit langem wichtiger als die politische Einheit der bosnischen Muslime. Für diesen Primat steht keiner deutlicher als Fikret Abdić. Der Boß der „Agrokomerc“, die 1987 im Zentrum des größten jugoslawischen Finanzskandals aller Zeiten stand, wanderte damals wegen Ausstellung ungedeckter Schecks in Höhe von einer Milliarde Dollar ins Gefängnis. Heute genießt er in seiner Heimat große Popularität. Der Hauptsitz seiner Firma, eine Art „Dr. Oetker des Balkans“, ist nun Regierungssitz seiner „autonomen Provinz“. Und seine 1.500 Polizisten will Abdić so pünktlich auszahlen wie seine 10.000 Angestellten, die er fast täglich in betriebseigenen Bussen zu Massendemonstrationen auffahren läßt.
Schon vor Monaten bediente sich der EG-Vermittler Lord Owen des cleveren Geschäftsmannes und Politikers, um Izetbegović auszuschalten. Vergeblich. Nun hat der bosnische Präsident seinen internen Widersacher aus dem Präsidium seines Rumpfstaates ausgeschlossen. Doch Owens Kalkül könnte – anders und blutig – nun vielleicht doch noch aufgehen. Ein innermuslimischer Bürgerkrieg wird die Regierung in Sarajevo schwächen und damit auch ihren Widerstand gegen ein Friedensdiktat, das nicht nur Vertreibungen zur Folge haben wird, sondern den Kern weiterer Kriege in sich birgt. Thomas Schmid
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