Das bunteste Haus des Bundes

■ Dialog zwischen Potsdams Hausbesetzern und dem Magistrat ist festgefahren / Dauerlösung gesucht

Potsdam (taz) – Hausbesetzer schlafen lang, fest und ungemütlich. Kein noch so lautes Klopfen an den verbarrikadierten Fenstern der Gründerzeitvilla kann sie bewegen, ihre dünnen Matratzen zu verlassen. Die Frühstücksgäste müssen sich ein wenig gedulden. Erst gegen 11 Uhr öffnet die erste verschlafene Gestalt in Unterwäsche den Riegel an der Eingangstür. „Guten Morgen.“

Der Tag beginnt in Potsdams nobelstem besetztem Haus. Die Villa in der Hegelalle, zuletzt als Musikschule der GUS-Streitkräfte genutzt, ist zum Treffpunkt der Potsdamer Hausbesetzerszene geworden. Viele Jugendliche aus den umliegenden rund 20 besetzten Häusern frühstücken hier. Einer geht Brötchen und Zeitungen kaufen. Ein anderer kocht Kaffe. Und – Putzen ist weiblich – eine junge Frau räumt den Frühstücksraum auf und wischt den Boden. Frühstück kostet drei Mark für alle, und „du kannst soviel essen, wie du Lust hast“.

Später könne die Kleinen im „Kinder-Café“ spielen, und die Großen verlegen Teppiche, betreuen Journalisten in einem eigens eingerichteten Presseraum oder trinken Kaffee. Die Villa ist das Kultur- und Freizeitzentrum der Szene. Abends gucken sie sich schon zum zweiten Mal das Video über die Räumung des besetzten Hauses in der Gutenbergstraße an. Denn damit fing alles an.

Vor zwei Wochen hatte eine Hundertschaft Polizisten die besetzte „Tanzfabrik“ in der Gutenbergstraße geräumt. Dabei lieferten sich Hausbesetzer und Polizisten frühmorgens eine schwere Straßenschlacht. 36 Personen wurden festgenommen, der Dachgiebel des Hauses brannte ab. „Was die Royal Air Force im Zweiten Weltkrieg nicht geschafft hat, das gelingt den Besetzern“, dramatisierte Potsdams Polizeipräsident von Schwerin den Brandanschlag.

Abends war es in der Potsdamer Innenstadt erneut zu schweren Ausschreitungen gekommen. Hausbesetzer errichteten Barrikaden in der Gutenbergstraße, warfen mit Molotowcocktails auf Polizisten und legten Feuer in einer Polizeiwache.

Der Landesverband Bündnis 90/ Grüne erhob schwere Vorwürfe gegen das brutale Vorgehen der Polizei. Am nächsten Tag demonstrierten etwa 300 junge Leute gegen die Räumung des Hauses und besetzten die leerstehende Villa in der Hegelallee. Noch am Abend vereinbarten die Besetzer mit dem Potsdamer Baustadtrat Kaminski, gemeinsam an einem Runden Tisch zu verhandeln. Der Stadtrat sollte den Termin bestimmen, die Besetzer den Ort.

Inzwischen sind bereits zwei vereinbarte Termine geplatzt. Beim ersten Mal sagte der Magistrat das Treffen ab. Oberbürgermeister Gramlich wollte nicht in dem besetzten Haus verhandeln. Zudem hatten die Besetzer im Vorfeld einen „unverschämten Forderungskatalog“, so Kaminski, aufgestellt.

Die Besetzer verlangten die Suspendierung der Verantwortlichen des Polizeieinsatzes, die Offenlegung der Besitzverhältnisse aller besetzten Häuser und die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses. Sie lehnten Verhandlungspartner wie den Baustadtrat und den Stadtrat für Sicherheit und Ordnung ab.

Das zweite Mal hatte der Potsdamer Pfarrer Schulz in seine Pfarrei eingeladen. Diesmal sagten die Besetzer ab. „Die sollen mal schön hier zu uns kommen“, forderte Ralph, einer der Besetzer. „Soviel Dummheit auf einen Haufen kann ich mir nicht vorstellen“, meinte Kaminski zur Absage.

Er kündigte an, trotzdem heute in der Pfarrei auf die Besetzer zu warten. „Ich habe die Hoffnung, daß sich noch vernünftige Leute finden.“ Was Kaminski den Besetzern zu bieten hat, ist jedoch eher mager. Er bekam lediglich von drei Eigentümern „ein positives Signal, über Trägervereine eine alternative Wohnform zu schaffen“. Für zwei bis drei Jahre.

Die Besetzer fordern aber mietfreie Nutzungsverträge für mindestens zehn Jahre und zwar für alle Häuser. „Sonst lohnt sich die Sanierung nicht.“ In der besetzten Villa sehen sie eine Alternative zur geräumten „Tanzfabrik“. „Wir wollen Räume schaffen für kreative Tätigkeiten auf allen Gebieten und für alle Menschen, die keinen Bock haben auf verordnete Kultur“, heißt es in einer Resolution.

Kulturstadtrat Eschenburg, zu dem die Besetzer noch am ehesten Vertrauen haben, beurteilt die Situation als „festgefahren“. Die Absage der Besetzer sei „dumm“, meinte Eschenburg. „Man kann sich nicht verstecken.“ Eschenburg appellierte an die Vernunft der Beteiligten. Der Runde Tisch sei nötig, um die Vorkommnisse bei der Räumung des Hauses aufzuklären und sich mit der Wohnsituation für Jugendliche in Potsdam zu beschäftigen. Zudem müsse über ein „alternatives Jugendprojekt“ nachgedacht werden. „Wir brauchen eine dauerhafte Lösung.“

Für die Besetzer ist das die Villa in der Hegelallee, die jetzt dem Bundesvermögensamt gehört. Die großen Räume bieten Platz für Konzerte, Kneipe, Fotolabor und so weiter Schon die Fassade zeigt, daß sie sich hier auf Dauer eingerichtet haben. Ein lila Fahrrad hängt vom Dachgiebel herab, gelbe Bänder und bunte Sprühdosenflecken „schmücken“ den frisch gestrichenen Bau. Es ist das bunteste Haus des Bundes. Anja Sprogies