Verfassungsschutz war im Bilde

Entgegen früheren Äußerungen von VS-Chef Wertebach war die Behörde über die Ausspäh-Affäre gegen Minister Rauls informiert / Vermerk: Weisung kam vom Staatssekretär  ■ Von Eberhard Löblich

Magdeburg (taz) – Der Bundesverfassungsschutz war offenbar doch sehr viel besser als bislang zugegeben über die rechtswidrigen Aktivitäten seines Vertreters in Magdeburg, Jürgen Schaper, informiert. Schaper hatte während seiner Zeit in Sachsen-Anhalt 1991 über mehrere Monate ohne jede Rechtsgrundlage in der Vergangenheit des Magdeburger Umweltminister Wolfang Rauls (FDP) herumgeschnüffelt und versucht, vage Gerüchte über eine Stasi- Vergangenheit Rauls zu erhärten.

Über die Ergebnisse seiner Recherchen unterrichtete Schaper damals in mehreren Vermerken den Staatssekretär im Magdeburger Innenministerium Hans-Peter Mahn sowie den Sonderbeauftragten der Staatskanzlei zur Stasi- Überprüfung der Minister und Staatssekretäre, Rolf Schnellecke. „Auf meine Nachfrage erklärte mir Schaper damals, daß über alle seine Schritte das Bundesamt für Verfassungsschutz nicht nur informiert sei, sondern daß er in seinen entsprechenden Schreiben an die Behörde auch immer wieder vorgeschlagen hat, das weitere Vorgehen in dieser Sache untereinander abzustimmen“, sagte Schnellecke gestern in seiner Aussage vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuß im Magdeburger Landtag, der Licht in diese Ausspäh-Affäre bringen und vor allem klären soll, ob Ministerpräsident Werner Münch (CDU) oder ein anderes Mitglied der Landesregierung Schaper einen Auftrag für seine Schnüffelei gegeben hat.

Bei einem Besuch des Vizepräsidenten des Bundesverfassungsschutzes, Peter Frisch, in Magdeburg habe er selbst mit Frisch über die Angelegenheit gesprochen, und zwar auch über die Erkenntnisse Schapers, sagte Schnellecke.

Oberverfassungsschützer Eckart Werthebach hat in Interviews stets bestritten, über die Aktivitäten seines Vertreters in Magdeburg informiert gewesen zu sein. Vor dem Ausschuß erscheinen mochte er aber nicht. Der Bonner Innenstaatssekretär Walter Priesnitz gab ihm keine Aussagenehmigung, Werthebach selbst schränkte die Aussagegenehmigung für seinen früheren Mitarbeiter Schaper so stark ein, daß der Untersuchungsausschuß auf dessen Vernehmung verzichtete.

Einen handschriftlichen Hinweis darauf, daß der Verfassungsschutz im Bilde war, trägt auch ein Vermerk des nach Magdeburg abgeordneten Bundesverfassungsschützers Jürgen Schaper. Diesen Vermerk vom 7. Oktober 1991 hatte Schaper wie alle anderen auch an Schnellecke und den Staatssekretär im Magdeburger Innenministerium, Hans-Peter Mahn (CDU), geschickt. „Inhalt ist Präsident BfV bekanntgegeben worden durch Herrn Schaper“, schrieb Schnellecke seinerzeit nach entsprechender Rückfrage auf den Vermerk. Ein Vermerk, der nicht ohne Brisanz ist. Denn ausdrücklich nimmt Schaper in diesem Schrieb Bezug auf eine „Weisung Staatssekretär Dr.Mahn“. Ministerpräsident Werner Münch und sein Innenminister Hartmut Perschau hatten stets bestritten, daß sie selbst oder irgendwelche Mitarbeiter Schapers Schnüffeleien in irgendeiner Form in Auftrag gegeben hatten.

„Ein solcher Auftrag wäre auch kaum möglich gewesen“, sagte Schnellecke in seiner Aussage vor dem Ausschuß. „Es ist völlig unüblich, daß ein Landesbediensteter, egal wie hoch er gestellt ist, einem Bundesbediensteten Aufträge oder Weisungen erteilt.“ Aber ein ausdrücklich erteilter Auftrag war wohl gar nicht notwendig. „Schaper las uns unsere Wünsche von den Augen ab“, erinnert sich Schnellecke. „Es war ja kein Geheimnis, daß er sich eine Karriere im künftigen Landesamt für Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt versprach.“ Er wolle deshalb nicht ausschließen, daß Schaper in vorauseilendem Gehorsam bereits ein Unterstellungsverhältnis gegenüber Staatssekretär Mahn empfand und eine von Mahn vorgetragene Bitte womöglich als Auftrag oder Weisung verstanden hat.

Nicht nur Schaper hat sich Hoffnungen auf einen steilen Aufstieg beim sachsen-anhaltinischen Verfassungsschutz gemacht. Auch Jürgen Vogel, Vorsitzender des Magdeburger Bürgerkomitees zur Auflösung der Stasi, wollte sein Sendungsbewußtsein als Stasi-Jäger gern beim Verfassungsschutz ausleben. Aus handschriftlichen Notizen las Schnellecke stichwortartig den Inhalt des Gespräches vor, das drei Mitarbeiter des Bürgerkomitees bei ihrem Antrittsbesuch bei Münch führten, unter anderem: „Bitte des Bürgerkomitees, in die künftige Arbeit des LfV institutionell einbezogen zu werden.“ Auch die Verdächtigungen und Gerüchte über eine Stasivergangenheit Rauls waren Thema dieses Gesprächs. Vogel versprach, die Verdachtsmomente gegen Rauls noch einmal schriftlich niederzulegen. Das wirre Papier unter dem Titel „Rauls – Versuch einer Darstellung“ traf wenige Tage später tatsächlich in der Staatskanzlei ein. Weder Schnellecke noch sein Chef Werner Münch konnten damals ahnen, daß sie mit diesem Auftrag – der natürlich wieder allenfalls als Bitte vorgetragen worden war – den Bock zum Gärtner gemacht hatten. Denn alle Gerüchte um eine Stasi-Vergangenheit des Magdeburger Umweltministers, die sich stets so zuverlässig in Luft auflösten wie sie wenige Tage später wieder auftauchten, entstammen einer einzigen Quelle: Stasi-Auflöser Jürgen Vogel. Mit seinen Verdächtigungen narrte der Stasi-Jäger die Magdeburger Landesregierung – und weil sie immer wieder auf seine wirksam gestreuten Gerüchte hereinfiel, versuchte jetzt der Untersuchungsausschuß, Licht in das Verwirrspiel dieser Spitzelaffäre zu bekommen. Einen leichten Schimmer dürfte es gestern erzeugt haben.