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SanssouciVorschlag

■ Herbsttag im Zoo – Tiere und Emigrantenschicksal

„Ach Kronenkranich, plärr nicht so!/Du bist doch nicht allein im Zoo!“ Wenn Robert Gernhardt da nicht wieder einmal völlig recht hat! Seine „Zooimpressionen“ sind zugegebenermaßen eigenwillig: „Erdmännchen huschen durch die Nacht,/mit schrillem Schrei nach Osten/Unstete Fahrt gebt acht, gebt acht/gleich rauscht ihr an den Pfosten!“ Völlig falsch! Muß man leider sagen. Erdmännchen, zur Familie der Schleichkatzen gehörend, sind nämlich ausgesprochen sonnenhungrig und gesellig. Was also sollten sie des Nachts herumhuschen? Schaut ja eh kein Schwein zu.

Sonnenhungrig ist auch unsereins, nach einem dermaßen miesen Sommer, und wenn man während der letzten schönen Herbsttage ganz schnell dem Häusermeer ent- und ins Freie kommen will: Was läge da näher – zumindest in Berlin – als der Zoo? Mitten in der Stadt.

Einstmals, als er am 1. August 1844 eröffnet wurde, lag er noch „bei Berlin“. Er war der erste Zoologische Garten Deutschlands und der neunte der Welt. Älter waren nur die Menagerie in Wien-Schönbrunn, der Jardin des Plantes in Paris sowie die Zoos in London, Dublin, Bristol, Manchester, Amsterdam und Antwerpen. Womit deutlich wird, daß der Seehandel die Arche Noah belud; daß die Tiere sich dank der Telekom telefonisch voranmeldeten, darf füglich bezweifelt werden. Dennoch, auch wenn die Schiffe nicht unbedingt die rettende Arche waren, der Zoo war und ist es für viele Tiere doch. Etwa für alle Katzen, für alle „Hundeartigen“ mit einer Ausnahme, für alle „Bärenartigen“ mit einer Ausnahme, für alle Rüsseltiere, alle Nashörner und Tapire; die Liste ist endlos und erschreckend, und setzt sich fort für Wisent und Bison oder die Przewalskipferde aus der Mongolei. Die, dank der Zuchterfolge der Zoos, wieder ausgesetzt werden können.

Ursache für das Aussterben vieler Arten ist die Vernichtung der Wälder, das Zurückdrängen des Lebensraums der Tiere. Und so sitzen sie also da, in ihren Käfigen und Freigehegen, die Tiere dieser Welt. Gefährdet, geschont und ausgestellt zu unserem Amüsement wie zu unserer Belehrung. Kein Wunder, daß einem beim Betreten des Papageienhauses der einmütige Gruß „Dummkopf!“ entgegenschallt. So zu lesen jedenfalls in Viktor Schklowskijs „Zoo oder Briefe nicht über die Liebe“. 1922/23 geschrieben, in Berlin, in der Nachbarschaft des Zoos, in der damals die russische Emigration lebte. Sonnenhungrig und melancholisch ergingen sie sich in Peter Joseph Lennés Parkanlage und meditierten über die Innen- beziehungsweise Außenansicht des Schicksals. Worüber sich noch heute mit den Zoobewohnern diskutieren läßt. Brigitte Werneburg

Zoologischer Garten und Aquarium, täglich 9–18 Uhr

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