Durchs Dröhnland: Sozialkritik goes Schweinerock
■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche
Um zu beweisen, daß Punkrock noch nicht tot ist, braucht es inzwischen mehr als nur Dreschflegelgitarren und verfilzte Haare. Viel mehr. Es braucht Weisheit und – so absurd das sein mag – Erfahrung. In einer Zeit, in der man die Vergangenheit nicht einfach wegwischen kann wie damals, sondern sehr genau wissen muß, was man tut, um sich nicht lächerlich zu machen. The Muffs sind weise, gerade weil sie sich nicht so anhören.
Kim Shattuck und Melanie Vammen waren vormals bei den Pandoras, jenem fleischgewordenen feuchten Traum eines Hippies, dem seine Gary-Glitter- Vorliebe etwas peinlich war. Aus dieser Zeit, in der Sängerin und Leadgitarristin Shattuck zum großen Teil die Songs der Pandoras schrieb, ist eine Vorliebe für die Bubblegum-Seite der Sixties übriggeblieben, die wie ein morscher Einweckgummi all die Teile im Glas hält, die sich in jahrelanger Erfahrung angesammelt haben. Da gibt es klassischen Drei-Riff-Punkrock ebenso wie Girlie-Pop-Süßlichkeit, englischen Schrammelpop und kitschige Lahmarschballaden, natürlich etwas, das man heute Grunge nennen würde, feiste Metalgitarren und bewußt stumpf treibendes Bumm-Paff von der männlichen Rhythmussektion.
Die Kalifornier halten die Struktur grandios reduziert, ohne auf Fülle zu verzichten. Songs wie Mittelgebirge mit reichlich Abwechslung, aber ohne die Extreme, die einem die Alpen abverlangen. Weise eben.
Am 8.10. um 21 Uhr im Huxley's Junior, Hasenheide 108–114, Kreuzberg
Während woanders (siehe a. Muffs) das Konzept von der Girl- Group schon längst neu überdacht worden ist und für schlicht nicht mehr so wichtig erachtet wird, gründen sich hier Honey Suckle Roses und werben selbstverfaßt mit „ultrazarten Frauenstimmen“ und dem „unverkennbaren Charme“, der sich daraus ergibt. Was so auch richtig formuliert ist.
Dabei schreiben die vier Berlinerinnen Songs, die sich nicht recht zwischen dem aktuellen Folkrock-Revival und sanft ruckelndem Mainstream-Rock entscheiden können, aber auch gut da hängen. Problem bleibt nur der Grat zur puren Nettigkeit, der nun mal recht schmal ist. Stilsicher genug, da nicht runterzufallen, sollten sie auch noch werden.
Am 8.10. um 21.30 Uhr im Wasserturm Kreuzberg, Kopischstr.7, und am 14.10. als Vorgruppe im Pfefferberg
Und gleich die nächste Berliner Hoffnung hinterdrein: Naklada, über die ich mangels Info leider gar nichts weiß. Immerhin: Die vier haben sich hübsch auf Männlein und Weiblein aufgeteilt und frönen der Atonalität. Mit Geige und allerlei anderem, was fiese Quietschgeräusche machen kann, über dezente Lagerfeuergitarre, während althergebrachte Rhythmusinstrumente fast nahezu fehlen. Das tröppelt, trötet, vibriert, flattert, und der Sänger preßt getragen und zwanghaft jede Eingängigkeit vermeidend auf englisch. Da ich's nicht besser weiß, kann ich ja behaupten: Da haben wieder Kunststudenten zugeschlagen.
Am 9.10. im Eimer, Rosenthalerstr. 68, Mitte
Zwei Bässe, was kommt da raus? Richtig: Bollerboller. Grotus aus San Francisco sind zuständig für den nächsten längst fälligen Crossover. Was sie mit dem Doppelbass und ihren wild wuchernden Samples anrichten, nennt man gemeinhin Industrial, die Break-Struktur der Songs und der Gesang gemahnen an Metal. Das liest sich kopfgeburtiger, als es sich tatsächlich anhört. Das wird dafür beim Live-Auftritt nachgeholt: Hinter die Band projizierte Videos und einheitlich dämliche Kopfbedeckungen sorgen für Reaktionen zwischen Belustigung und Bewußtseinserweiterung.
Am 9.10. um 22 Uhr im K.O.B., Potsdamer Str. 157, Schöneberg
Neulich am Archäologen-Seminar: Trafen sich doch letztens Tav Falco und Cordelia's Dad und stritten sich, wer die bessere und größere Sammlung an möglichst alten Song-Raritäten hat. Der Rock-'n'-Roller Falco mußte schnell anerkennen, daß er gegen Cordelia's Dad, die Liedmaterial bis über die Pilgerväter hinaus verfolgen, keine Chance hat. Diese Fummelarbeit begann das Trio allerdings bei einschlägigen Kirchenkreis-Evergreens wie „Scarborough Fair“. Diese wurden aber – ganz im Sinne klassischer punkrockender Aneignung der zu verurteilenden Vergangenheit – mit viel Lärm auf die krachende Höhe der Hardcore-Herrlichkeit gebracht.
Doch bei dieser Beschäftigung erkannten die drei aus Massachussetts, die es inzwischen ins legendäre Hoboken, New Jersey, verschlagen hatte, offensichtlich, daß etwas mehr Respekt angebracht gewesen wäre. Es folgten ausgiebige Forschungen in Büchern, nach alten Platten und Menschen, die sich noch an längst vergessenes Liedgut erinnerten. Erschlagen von der Macht der „oral history“, die schließlich auch ihre eigene war, wurde ihre Herangehensweise wesentlich ehrfürchtiger. Das heißt aber nicht, daß Cordelia's Dad nicht mal eine Strophe dazudichten, die Melodie verändern, mit elektrischen Instrumenten arbeiten und so die gefundenen Beutestücke zu ihren eigenen Songs machen, anstatt sie dem Museum zu überlassen.
So besorgen Cordelia's Dad quasi die historische Absicherung für den gesamten amerikanischen New Folk, damit zum Beispiel ihre Okra-Label-Kollegen Fellow Travellers die Vergangenheit, als hätten sie sie jugendlich-begeistert gerade selbst erfunden, ganz ohne schlechtes Gewissen in ihrem Sinne adaptieren können. Jenseits davon ist die Musik von Cordelia's Dad einfach und schlicht wunderschön und sollte vor allem nicht den Puristen vorbehalten bleiben.
Mit Band of Susans am 14.10. um 21 Uhr im Pfefferberg, Schönhauser Allee 176, Prenzlauer Berg
Nun, wir wissen (fast) alle inzwischen, daß Metal nicht mehr nur den Langhaarigen auf dem flachen Land gehört, die sich mit Vorliebe anhand ihrer getuneten Opel Kadetts ins Jenseits befördern. Terrorvision sind das neueste Beispiel und vor allem ein role model für die Plattenindustrie: hart genug, um Otto Mustermann die nötige Dröhnung zu verschaffen, und zeitgleich ausreichend intelligent, um ihn mit Fingerzeig auf die Texte intellektuell zu entlasten. Das ist dann Einführungskurs Sozialkritik goes Schweinerock.
Kein Wunder also, daß Terrorvision schon ihr Debütalbum bei einem Unterlabel der EMI verlöffentlichen durften, da schlummert einiges an kommerziellem Potential, denn auch Headbanging-Kids werden mal älter. Das kann man den vier Herren aus dem englischen Bradford natürlich nicht persönlich vorwerfen, die geben sich alle Mühe, glänzen durch Professionalität, gute Melodien und Sinn für abrupte Stilwechsel, auch wenn der eine oder andere Moment mich irgendwie an Yes ohne muffige Mystik erinnert.
Am 14.10. um 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg Thomas Winkler
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