Regionale Planung für Berlin und Brandenburg

Das Verhältnis der Stadt Berlin zum dünnbesiedelten Brandenburg war meist problematisch: Ein Plädoyer für den raschen Beginn einer gemeinsamen länderübergreifenden Planung und die Gründung von Regionalverbänden  ■ Von Heinz Weyl

Berlins Verhältnis zu seinem Umland, der Mark Brandenburg, war meist problematisch. Da stand zunächst die Residenzstadt gegenüber dem dünnbesiedelten flachen Land, später sorgte das lange nicht abzubremsende enorme Wachstum nach der ersten Industrialisierung für Konflikte. Während Berlin 1785 gegen Ende der Regierungszeit Friedrichs des Großen rund 190.000 Einwohner hatte, waren 1850 im Zuge der industriellen Revolution 500.000 Einwohner erreicht und 1929 mit 4,4 Millionen der bisherige Höhepunkt der Bevölkerungsentwicklung.

Diese enorme und – im Unterschied zu älteren Metropolen wie London und Paris – zudem in überaus kurzen Zeiträumen abrollende Bevölkerungsvermehrung vollzog sich mit hohen Wohndichten und unter den sprichwörtlich gewordenen Bausünden der Gründerjahre. Die Stadt drängte seit etwa 1900 in das damals noch dünn besiedelte Umland, dessen ländliche Strukturen bei weitgehender Überbauung der alten Gemeindegrenzen in den neu entstehenden Ballungsraum eingeschmolzen wurden. Um diese chaotische Entwicklung in den Griff zu bekommen, wurde 1910 ein städtebaulicher Wettbewerb „Groß-Berlin“ ausgeschrieben, der auch die angrenzenden Landkreise einbezog. Das Ergebnis dieses Wettbewerbs war eine Art Regionalplan für den Gesamtraum Berlin, zu dessen Durchsetzung es aber auch neuartiger rechtlich-administrativer Institutionen bedurfte.

So wurde 1912 der „Zweckverband Groß-Berlin“ aus acht Stadt- und über 60 Landgemeinden errichtet, dem die Aufstellung eines gemeinsamen Flächennutzungsplanes für den Verbandsbereich übertragen wurde und die Regelung der Ver- und Entsorgung. Das betraf beispielsweise die Rieselfelder und sonstige Gemeinschaftsanlagen.

Der „Zweckverband Groß-Berlin“ bestand bis 1920 und ging zum größten Teil in die damals neu gebildete Einheitsgemeinde „Groß- Berlin“ ein. Das verbleibende Umland von Groß-Berlin erhielt erst 1929 mit der Errichtung des „Landesplanungsverbandes Brandenburg-Mitte“ eine eigene regionale Planungsinstanz, die 1936 gleichgeschaltet und 1944 aufgelöst wurde.

Zu Nachfolgeorganisationen kam es nur im Rahmen der Territorialplanung der DDR, so daß West-Berlin über 45 Jahre ohne räumliche oder funktionale Verbindung mit seinem unmittelbaren Umland blieb und dieses mit der Zeit aus den Augen verlor. Zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung war aber auch den Umlandgemeinden das Wissen um ihre früheren Funktionen im Rahmen der Stadtregion Berlin verlorengegangen (zum Beispiel das Vermarktungswesen zur Gemüse- und Obstversorgung der Kernstadt, aber auch die Zuordnung bestimmter Naherholungsgebiete zur besonderen Stadtteilen), wie andererseits die Umlandsinteressen West-Berlins (Lebensmittelversorgung, Naherholung) in die holsteinischen und niedersächsischen „Zonenrandgebiete“ verlagert worden waren, so daß die Wiederherstellung der alten Bezüge von beiden Seiten auf Schwierigkeiten stieß.

Als Folge dieses Verlustes zeigten sich schon bald nach der Wiedervereinigung auf beiden Seiten Anzeichen von wachsendem Mißtrauen und von Mangel an Verständnis für die Situation des anderen, dazu bei den Umlandgemeinden schiere Angst vor dem Riesen Berlin.

Diese psychologisch vielleicht verständliche Situation wird zusätzlich verschärft einmal durch das Neben- und Gegeneinander der noch bestehenden Länder Berlin und Brandenburg und zum anderen durch die nun wirklich einmalige Situation, daß an die Metropole Berlin mit ihren 3,5 Millionen Einwohnern und einer Wohndichte von mehr als 4.000 Einwohnern pro km2 jenseits einer ebenfalls ungewöhnlich harten „Stadtkante“ eine Vielzahl von Kleinstgemeinden mit häufig nur einigen hundert Einwohnern angrenzt, die über keine kompetente Verwaltung verfügen, geschweige denn über Erfahrungen mit Bodenverkehr im allgemeinen und spekulativen Investoren im besonderen. Im Vergleich mit anderen westdeutschen und westeuropäischen Verdichtungsräumen zeigen sich ganz ungewöhnlich krasse Unterschiede zwischen einer übervollen Kernstadt und einem demgegenüber so gut wie leeren und dazu häufig handlungsunfähigen Umland.

An diesen strukturellen und administrativen Ungleichgewichten hat sich auch durch die brandenburgische Verwaltungsreform nur wenig geändert. Denn die Zwerggemeinden um Berlin wurden zwar zu Ämtern zusammengefaßt, die gemeindliche Planungshoheit verblieb aber nach wie vor bei den Kommunen. Damit sind diese Räte und Bürgermeister auch weiterhin den Bedrängungen und Erpressungen auswärtiger „Investoren“ ausgesetzt, auf die sie – ohne jede übergeordnete räumliche Zielvorstellung – nur hilflos reagieren können. Da derart chaotische Verhältnisse zu Fehlentwicklungen großen Ausmaßes im gesamten Berliner Umland geführt haben, ist die Gründung von Ländergrenzen überschreitenden regionalen Planungs- und Abstimmungsgremien nachgerade dringend erforderlich.

Dabei ist zu unterscheiden zwischen Instanzen der übergeordneten Landes- bzw. Landesentwicklungsplanung, die – zumal zwischen zwei Bundesländern – überwiegend staatlich bestimmt sein müßten, und – diesen nachgeordneten – regionalen Planungsgremien. Diese hätten ihren Platz zwischen der übergeordneten Landesplanung und der kommunalen Bauleitplaung abzustecken. Ihre Aufgabe wäre es, die eher abstrakten landesplanerischen Ziel- und Rahmenvorstellungen in Form von rechtskräftigen Regionalplänen gegenüber den Gemeinden und anderen Planungsträgern zu konkretisieren und die kommunalen Fachplanungen untereinander abzustimmen.

Solange Berlin und Brandenburg aber getrennte Bundesländer sind, muß Grundlage jeder weiteren (regionalen) Institutionalisierung der Abschluß eines Staatsvertrages zwischen beiden Ländern sein, in dem Art, Umfang und Zielsetzungen

— einer gemeinsamen Landesentwicklung der Länder Berlin und Brandenburg festgelegt wird und

— die Bildung gemeinsamer regionaler Institutionen für – zu bestimmende – Teile ihrer Staatsgebiete bzw. eben für die Region Berlin.

Bei der Vereinigung der beiden Partner eines solchen Staatsvertrages würden die Regelungen des nur teilweise überflüssig gewordenen Vertrages als Landesrecht fortgelten.

Auf der Basis eines solchen Staatsvertrages könnte dann ein gemeinsames Entwicklungsprogramm für Berlin und Brandenburg erarbeitet werden, sei es durch gemischte Gremien aus den beiden Verwaltungen, sei es durch beauftragte dritte Stellen. Die parlamentarische Kontrolle könnte durch die Entwicklungsausschüsse der beiden Parlamente wahrgenommen werden. Ähnliche staatsvertragliche Regelungen zwischen verschiedenen Bundesländern bestehen seit vielen Jahren etwa im Rhein-Neckar-Raum zwischen den Ländern Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz als Grundlage des „Raumordnungsverbandes Rhein-Neckar“ und im Großraum Ulm zwischen Baden-Württemberg und Bayern.

Während zumindest das Organisationsmodell für den Berlin- Brandenburg-Staatsvertrag relativ eindeutig sein könnte, ist die Bildung „gemeinsamer regionaler Institutionen“ für die Planung und Koordinierung der räumlichen Entwicklung im Großraum Berlin nach sehr unterschiedlichen Modellen möglich. Deren Organisationsformen decken die ganze Bandbreite zwischen staatlichen, halbstaatlichen und zwischenkommunalen Selbstverwaltungsgremien ab.

So wird von Brandenburg derzeit ein staatlich gelenktes Modell bevorzugt, bei dem die Aufgabe „regionaler Planung im Berliner Umland und Koordinierung der gemeindlichen Planungen“ im Rahmen eines besonderen „Landesentwicklungsprogramms Berliner Umland“ konkretisiert werden soll. Dabei ist noch unklar, in welcher Form die inzwischen gebildeten brandenburgischen Regionen beteiligt werden. Jedenfalls soll nicht nur die regionale Planungsebene im Berliner Umland, sondern auch die Koordinierung der Bauleitplanungen der Gemeinden direkt durch staatliche Stellen der Landesplanung erfolgen.

Gewiß erübrigt sich bei diesem „staatlichen“ Modell die Errichtung zusätzlicher regionaler Selbstverwaltungsgremien, aber doch wohl auf Kosten der Mitsprache der betroffenen Gemeinden bei der Planung und unter Inkaufnahme eines direkten Durchgriffs des Staates auf die Entwicklungsvorstellungen und die zwischenkommunalen Abstimmungen der Gemeinden. Schließlich würde das eigentliche Problem – die planerische Abstimmung zwischen Berlin und seinem Umland – seiner Lösung keinen Schritt nähergebracht. Auch abgesehen davon, daß solche staatlichen Durchgriffe auf die Autonomie der Gemeinden sehr bald an die grundgesetzlich festgelegten Grenzen stoßen müssen, haben die westdeutschen Erfahrungen zur Genüge gezeigt, daß staatliche Stellen ihrer ganzen Konstitution nach völlig ungeeignet zur Regelung diffiziler zwischengemeindlicher Probleme sind. Gerade bei der Komplexität der im Großraum Berlin anstehenden zwischengemeindlichen, regionalen und bis auf weiteres auch zwischenstaatlichen Probleme, die durch die 45jährige Trennung dramatische Ausmaße angenommen haben, sollten daher Organisationsmodelle zur Bewältigung der regionalen Probleme bevorzugt werden, an deren Beschlußgremien und damit auch Willensbildung die betroffenen Gemeinden angemessen beteiligt sind.

Dafür empfehlen sich nach wie vor die verschiedenen Formen von Kommunalverbänden. Derartige regionale Zweckverbände, Planungsverbände oder Regionalverbände werden als freiwillige oder als Zwangsverbände zur Lösung regionaler oder doch überkommunaler Aufgaben für einen bestimmten Bereich gebildet. Glieder der Verbände sind die Gemeinden und Kreise – in Ausnahmefällen z.B. bei Stadtstaaten auch betroffene Länder – des Verbandsbereiches. Sie verfügen über Vertretungskörperschaften, deren Mitglieder von den Verbandsmitgliedern nach bestimmten Schlüsseln entsandt werden.

Die Gebietsabgrenzung eines solchen Verbandes „Großraum Berlin“ oder „Berliner Umland“ ist vorab abhängig von den Aufgaben, die dem Verband zugedacht werden. Sofern es sich um einen Regionalverband zur Regelung der besonderen Verflechtungsprobleme im Berliner Umland handeln soll, würde sich der Verbandsbereich auf den eigentlichen Verflechtungsraum Berlin und sein Umland beschränken. Alternativ wäre auch denkbar, nur die Berliner Randbezirke und die an Berlin angrenzenden Landkreise und die größeren Städte des Verflechtungsbereiches als Verbandsgebiet festzulegen. Da der eigentliche Verflechtungsbereich in etwa mit den Endpunkten des Regionalverkehrs zu umreißen ist, würden die sektoral zugeschnittenen Landkreise um Berlin dem Regionalverband lediglich für die innerhalb dieses Verflechtungsraumes liegenden Ämter und Städte angehören.

Da Berlin stets mehr verbandsangehörige Einwohner haben wird als Brandenburg, sollte in der Satzung des Verbandes Vorsorge getroffen werden, daß das Umland in für lebenswichtig gehaltenen Fragen nicht von der Zentralstadt überstimmt werden kann. Das kann in Form von Vetorechten in regionalpolitisch wesentlichen Fragen geschehen oder durch die Einführung von „Quoren“.

Die Kompetenzen des Verbandes sollten grundsätzlich nur Sektoren von regionaler Bedeutung umfassen, nicht aber darüber hinausgehend Problemkreise von überregionaler oder nationaler Bedeutung. Entsprechend sollte der Verband über die Vollkompetenz der Regionalplanung nur für den eigentlichen Verflechtungsbereich verfügen, also für das Gebiet der Randbezirke von Berlin und des brandenburgischen Umlandes, während der innere Bereich von Berlin davon ausgenommen bliebe, weil dort hauptstädtische Funktionen Vorrang behalten sollten. Dagegen könnten andere Kompetenzen, wie der regionale Verkehrsverbund des ÖPNV, die übergemeindliche Ver- und Entsorgung, der Natur- und Landschaftsschutz sowie die Freiraum- und Erholungsplanung dem Verband auch für den zentralen Bereich übertragen werden.

Schon diese Differenzierung der Verbandskompetenzen zeigt, daß die Errichtung und die Arbeit eines solchen Regionalverbandes nicht gerade einfach sein wird. Doch haben entsprechende Institutionen in den großen Verdichtungsräumen Westdeutschlands seit Jahrzehnten bewiesen, inwieweit gerade die Probleme großer Verdichtungsräume in Selbstverwaltung und auf flexible Art gelöst werden können. Die gleichfalls in der Diskussion befindlichen Modelle eines Umlandverbandes mit gemeinsamer Flächennutzungsplanung oder der vorgeschlagene Zweckverband ohne eigene Planungskompetenzen sind dagegen abzulehnen. Der erste, weil seine Konstruktion allzu kompliziert ist, der zweite, weil eine regionale Instanz ohne eigene Kompetenzen von vornherein zum Scheitern verurteilt ist.

Der Autor ist emeritierter Professor für Regionalplanung und Städtebau an der Uni Hannover.