Bezirk Mitte läßt Wagenburg räumen

■ Engelbecken-Bewohner sollen an den Stadtrand / Trotz Gerichtsbeschluß kein Abbruch der Aktion mit 900 Beamten

Mit einer dubiosen Begründung wurde gestern erstmals eine Wagenburg geräumt. Obwohl den 30 bis 40 Bewohnern vom Bezirksamt Mitte zugesagt worden war, den ehemaligen Grenzstreifen am Engelbecken erst dann verlassen zu müssen, wenn mit dem geplanten Bau von Wohnungen begonnen werde, bestellte Bezirksbürgermeister Gerhard Keil (SPD) die Polizei. Denn der Bezirk wolle morgen das Gelände einzäunen, einen Sportplatz bauen und eine Grünfläche anlegen, begründete er den überraschenden Schritt. Die Polizeiaktion begann um 6.55 Uhr und war bis Redaktionsschluß nicht beendet. Bis dahin soll es keine Festnahmen gegeben haben.

Die vor drei Jahren gegründete Wagenburg wurde früh morgens abgeriegelt – in Mitte und Kreuzberg waren bis zu 900 Beamte im Einsatz, berichtete Einsatzleiter Paul Fischer der taz. Bürgermeister Keil hatte den Bewohnern einen Ersatzstandort in Karow angeboten. Die Besetzer konnten mit ihren Wagen das Gelände verlassen, soweit die Fahrzeuge fuhren. Andere Wohnwagen wurden von der Firma ALBA auf Tieflader verladen und an Lastwagen angehängt. Gegen elf Uhr fuhr dann der erste Konvoi des Abfall-Unternehmens mit Polizeischutz an den östlichen Stadtrand. Manche Bewohner hatten den Platz freiwillig verlassen – fuhren ihre Wagen aber zum Teil zu benachbarten Wohnburgen in Friedrichshain. Wagen, für die sich kein Besitzer fand, transportierten die ALBA- Laster zur Schrottpresse.

Widerstand leisteten zwei Angehörige eines Franziskaner-Ordens. Die mit braunen Kutten gekleideten „Geschwister vom Rande“ ketteten sich an einem vier Meter hohen Holzkreuz an. „Die Ghettobildung am Stadtrand ist unwürdig“, sagte der 33jährige Mönch Kamillo. Die Kreuzberger Baustadträtin Erika Romberg (Bündnis 90/Grüne) bot für drei Wagen für wenige Tage einen Standort in ihrem Bezirk an, doch die Besetzer lehnten ab. „Wir bleiben, bis sie uns gewaltsam wegschleppen“, antwortete Kamillo.

Klaus Duntze, Pfarrer der Kreuzberger St.-Thomas-Gemeinde, bezweifelte die Notwendigkeit von Sportplatz und Grünfläche. Entweder würden die dafür nötigen 2,5 Millionen Mark sinnlos ausgegeben, weil in zwei Jahren dort Wohnungen gebaut würden, oder die längst entschiedene städtebauliche Planung am Luisenstädtischen Kanal müsse über den Haufen geworfen werden. Duntze befürchtet, daß jene Wagenburg- Bewohner, „die kaputt sind“, durch die Räumung in die Obdachlosigkeit gedrängt werden.

Anwalt Stefan Nowak, der sechs Besetzer vertritt, konnte am frühen Nachmittag eine einstweillige Verfügung gegen die Räumung erwirken. Doch über den Beschluß des Landgerichtes setzte sich die Staatsmacht hinweg. Die Innenverwaltung meinte, daß ausschließlich das Verwaltungsgericht zuständig sei. Zudem müßten die strafrechtlichen Ermittlungen weitergeführt werden. Auf dem Gelände war Öl aus Kanistern und ausgebauten Automotoren in den Boden gesickert und Hanf angebaut worden. Zwei gestohlene Autos seien gefunden worden.

Die CDU forderte gestern den Rücktritt von Baustadträtin Romberg. Mit ihrem Verhandlungsangebot habe sie „kriminellen Elementen“ Unterschlupf gewähren wollen, begründete Volker Liepelt, parlamentarischer Geschäftsführer, die Forderung. Innensenator Heckelmann begrüßte die Räumung. Bisher seien von der Burg 32 Straftaten bekannt geworden.

Gestern um 18 Uhr sollte eine Demonstration gegen die Räumung starten. Dirk Wildt