Aidid und die US-Ehre

Während die Amerikaner von Somalia die Nase voll haben, sucht Clinton eine Strategie  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Nichts, gar nichts erinnert dieser Tage in den USA an den Jubelpatriotismus aus den Zeiten des Golfkriegs. Es werden keine Flaggen gehißt, keine gelben Bändchen geknüpft, keine T-Shirts mit „Aidid wanted“ bedruckt. Wo immer Fernsehreporter auf der Straße Passanten nach ihrer Meinung zum Militäreinsatz in Somalia befragen, lautet die Antwort: „Holt bloß die Jungs nach Hause.“ Vorher, so sinniert ein Tankstellenbesitzer, solle man noch Mogadischu plattbomben „wie einen Parkplatz“, die gefangenen US-Soldaten befreien und dann nach Hause kommen.

Die Aussage ist symptomatisch für die Konsterniertheit und Verbitterung in der amerikanischen Öffentlichkeit: Man wollte (wieder einmal) nur das Beste – in diesem Fall hungernde Menschen retten. Als Dank kämen nun die eigenen Soldaten in Särgen zurück. Inmitten dieser Stimmung stößt die Ankündigung von US-Präsident Bill Clinton, 2.000 weitere US-Soldaten nach Somalia zu entsenden, auf Kopfschütteln und Opposition, zumal Clinton bislang nicht in der Lage war, die Ziele der Mission zu definieren.

Noch bis vor wenigen Tagen ganz damit beschäftigt, innenpolitische Jahrhundertprojekte wie die Gesundheitsreform und das Nafta- Freihandelsabkommen mit Mexiko an das Wahlvolk zu verkaufen, wurde Clinton von den Ereignissen in Somalia und dem Proteststurm im Kongreß wieder in die Realitäten der US-Außenpolitik zurückgeholt. Mit viel Mühe gelang es ihm am Mittwoch, im Senat eine Abstimmung über die Frage zu verhindern, ob die Finanzierung des Militäreinsatzes in Somalia sofort gestrichen werden solle. Als Gegenleistung versprach Clinton, ein Abzugsdatum, vermutlich den April 1994, für die US-Truppen in Somalia festzusetzen und sowohl dem Kongreß als auch der Öffentlichkeit zu erklären, was Ziel und Zweck des Einsatzes sein sollen.

Gleichzeitig lehnte Clinton die Forderung nach sofortigem Rückzug ab. Er sei bestrebt, die Mission in Somalia „ehrenhaft zu beenden“, erklärte der Präsident am Mittwoch vor der Presse im Weißen Haus. Vor allem wolle man nicht wieder jenes Chaos und Elend zulassen, das geherrscht habe, bevor im letzten Jahr vor laufenden Kameras am Strand von Mogadischu „Operation Restore Hope“ begann.

Verhandlungen mit Aidid?

Die neuen Entscheidungen sind auf den ersten Blick nur schwer miteinander zu vereinbaren: Einerseits die Stationierung von 2.000 zusätzlichen Soldaten, andererseits die Wiederentsendung von Robert Oakley nach Ostafrika – jenem Diplomaten, der 1992 als Gesandter unter Präsident Bush in Somalia mit den Clans und Fraktionen verhandelt hatte. Nun kehrt er im Auftrag Clintons nach Somalia zurück und soll in Kooperation mit den Regierungen Äthiopiens, Ägyptens und Eritreas versuchen, den politischen Verhandlungsprozeß wieder in Gang zu setzen – auch unter Beteiligung von Vertretern General Farah Aidids.

Zu Oakley dringlichsten Aufgaben gehört, die gefangenen US- Soldaten freizubekommen. Offiziell wird in Washington nach wie vor nur die Gefangennahme des Hubschrauberpiloten Michael Durant bestätigt, dessen malträtiertes Gesicht und stockende Aussagen in einem Verhör mit Aidid-Anhängern per Video eines somalischen Kameramanns über die Bildschirme geflimmert war. Issa Mohammed Said, Berater und „Außenminister“ Aidids, erklärte gegenüber einem Reporter der Washington Post in Mogadischu, man wolle Durant unter anderem gegen jene 21 Aidid-Unterstützer und Berater austauschen, die bei den blutigen Kämpfen am letzten Sonntag von US-Soldaten gefangengenommen worden waren.

Der Schwerpunkt wird in Washington eindeutig auf Deeskalation gelegt. Man hütet sich davor, die Entsendung weiterer 2.000 US- Soldaten nach Mogadischu zur „Stabilisierung“ der Lage als gewollte Eskalation gegen den warlord Aidid zu beschreiben. Die Truppenverstärkung ist zweifellos in erster Linie zum Schutz der 4.700 bereits in Somalia stationierten US-Soldaten gedacht. Doch angesichts des Guerilla-Stadtkrieges, den die somalischen Milizen diktieren und auf den die US- und UNO-Soldaten sichtbar schlecht vorbereitet sind, kann die Maßnahme genau zum Gegenteil führen: mehr Kämpfe, mehr Tote, mehr Gefangene und eine immer tiefere Verstrickung der USA. Erinnerungen an Vietnam, den Libanon und Panama, wo US-Truppen aus ihrer Sicht peinlich lange nach dem damaligen Präsidenten Noriega suchen mußten, spuken nun wieder durch die Köpfe.

Im UNO-Hauptquartier in New York fürchtet man nichts mehr als einen Abzug der US-Truppen aus Somalia. Er könne die innenpolitische Reaktion in den USA verstehen, erklärte in New York Kofi Annan, stellvertretender UNO- Generalsekretär und zuständig für Friedensmissionen. Doch ein Abzug der Amerikaner könne die gesamte UNO-Mission in Somalia zusammenbrechen lassen. Um das zu verhindern, soll nun Madeleine Albright, UNO-Botschafterin der USA und vehemente Befürworterin der Jagd auf Aidid, massiven Druck auf UNO-Generalsekretär Butros Ghali ausüben, mehr Blauhelme aus anderen Nationen zu mobilisieren. Die Frage ist, ob der unter diesen Voraussetzungen irgendwo welche finden wird.