Arbeitslosenheer wächst langsamer

Knapp 3,5 Millionen ohne Arbeit / Nürnberger Bundesanstalt sieht „kleine Lichtblicke“ im Osten / Entlassungswelle zum Jahreswechsel / Verschärfte Meldekontrollen beendet  ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler

„Der riesige Umbruch ist nur zu schaffen mit einem geistigen Aufbruch.“ Angesichts der ausbleibenden Herbstbelebung auf dem Arbeitsmarkt gerät der Präsident der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit (BA), Bernhard Jagoda, bei der Bekanntgabe der aktuellen Arbeitsmarktdaten ins Philosophieren. Knapp 3,5 Millionen Menschen in Ost und West waren Ende September arbeitslos, 650.000 arbeiteten kurz, der Abbau der Beschäftigung im Westen setzte sich ungebremst fort. „Die Arbeitsmarktpolitik steht vor neuen Herausforderung“, bilanzierte denn auch Jagoda.

Daran ändern auch die „durchaus bemerkenswerten Lichtblicke“ am Arbeitsmarkt Ost nichts, die Jagoda zu erkennen glaubte. Aus saisonalen Gründen ist dort die Arbeitslosigkeit gegenüber dem Vormonat um 15.600 auf 1,16 Millionen gesunken. Das entspricht einer Arbeitslosenquote von 15,2 Prozent. Die Zahl der Kurzarbeiter blieb mit 143.000 konstant. Dies wäre noch kein „Lichtblick“, wenn nicht gleichzeitig die Entlastung des Arbeitsmarktes durch Vorruhestand, Arbeitsbeschaffungs- und Fortbildungsmaßnahmen im gleichen Zeitraum um knapp 40.000 auf 1,4 Millionen abgenommen hätte. Das deute, so Jagoda, auf einen „stark verlangsamten Beschäftigungsabbau“ im Osten hin.

Doch auch damit könnte es zum Jahreswechsel 1993/94 vorbei sein. Die BA rechnet mit Entlassungen „in höherem Umfang“ in den Treuhand- und Ex-Treuhand-Betrieben sowie bei der Deutschen Reichsbahn. Zum Jahreswechsel 1991/92 schnellten die Arbeitslosenzahlen im Osten um 417.000, ein Jahr später um 212.000 in die Höhe. Diesmal werden es „nicht so viele“ sein, schätzen die Nürnberger Statistiker und rechnen im Verlauf des Jahres 1994 mit einer „wesentlichen Stabilisierung“ des Ost- Arbeitsmarkts.

Davon kann im Westen derzeit keine Rede sein. Dort gab es im September mit 28,9 Millionen gut 600.000 Erwerbstätige weniger und mit 2,28 Millionen Arbeitslosen gar 504.400 mehr als vor einem Jahr. Saisonbereinigt hat sich die Arbeitslosenzahl damit gegenüber dem August um 42.000 erhöht. Die Zahl der Kurzarbeiter nahm binnen Monatsfrist um 192.800 auf 590.000 zu. Das sind knapp dreimal so viele wie vor einem Jahr.

Die Nürnberger Behörde würde es deshalb begrüßen, wenn Gelder, die im Rahmen des Stabilisierungsprogramms des Bundes der Arbeitsmarktpolitik in den neuen Ländern zur Verfügung gestellt wurden, aber in diesem Jahr nicht voll ausgeschöpft werden können, in Problemregionen im Westen fließen könnten. Dies setzt jedoch die Zustimmung der neuen Länder voraus. „Der Erlaß für die Umsetzung der umgewidmeten Gelder liegt bei uns schon in der Schublade“, kündigte Jagoda an.

Zusätzlich fordert die BA ein verstärktes Nachdenken über die Ausweitung der Arbeitsförderungsmaßnahmen nach 249h auch für den Westen. Solche Maßnahmen sind kostenneutral für die BA, da die Förderung in Höhe von 1.260 DM monatlich exakt dem Durchschnitt der ansonsten zu zahlenden Lohnersatzleistungen entspricht. Jagoda findet es „allemal besser, Arbeitslosengeld und -hilfe produktiv einzusetzen“, als damit Arbeitslosigkeit zu finanzieren.

Mit den vorläufigen Ergebnissen der Kampagne gegen den Leistungsmißbrauch zeigt sich die BA-Spitze zufrieden. Von Mitte März bis Ende September führten die Arbeitsämter verschärfte Meldekontrollen durch. In diesem Zeitraum wurde die Hälfte aller Leistungsempfänger, also 6,8 Millionen Menschen in die Ämter zitiert. Daß sich in diesem Zeitraum 237.000 freiwillig abgemeldet haben, also doppelt so viele wie im Vergleichszeitraum vor einem Jahr, führt Jagoda auf die Kontrollen zurück. Das anvisierte Einsparungsziel von einer halben Milliarde Mark durch die Aufdeckung von Leistungsmißbräuchen soll Ende des Jahres erreicht sein. Genaue Zahlen lägen noch nicht vor.