Im Labyrinth der Grundsteuer

■ Die Berechnung der Grundsteuer ist so kompliziert, daß man dagegen nicht klagen kann / Eine Reise in die Technik der Steuerfestlegung

Eigentlich sollte für 1994 eine Straßenreinigungsgebühr in Bremen erhoben werden. Stattdessen schlägt der Finanzsenator nun eine Erhöhung des Grundsteuer-Hebesatzes um „40 Punkte“ vor. Was das bedeutet wollten wir von dem Abteilungsleiter für Steuerangelegenheiten im Finanzressort, Werner Kahrs, wissen.

taz: 13 Millionen Mark mehr sollen durch die Anhebung der Grundsteuer in die bremischen Kassen kommen. Wenn die Grundsteuer als Nebenkosten umgelegt werden kann, bedeutet das eine Mieterhöhung für alle. Wenn man die 13 Millionen umrechnet auf die 265.000 Wohnungen in der Stadt Bremen, kämen auf jede Wohnung ca. 50 Mark Mehrkosten im Jahr zu. Ein Haus mit 140 Quadratmetern würde im Durchschnitt 100 Mark mehr Grundsteuer kosten.

Werner Kahrs: Von der Größenordnung kann das zutreffend sein. Aber es gibt sehr große Unterschiede für jedes einzelne Haus. Einfacher ist folgende Zahl: Wir haben einen Hebesatz von 460 und heben ihn auf 500. Die Anhebung geschieht also um 8,7 Prozent.

Warum die Unterschiede?

Einfamilienhäuser werden zum Beispiel geringer besteuert als Zweifamilienhäusern, der normale Satz gilt für alle anderen Wohnungen. Bei den kleinen Einfamilienhäusern liegt der Durchschnitt der Belastung eher bei 40 Mark im Jahr.

Wie kommen diese Unterschiede zustande? Wie errechnet sich die Grundsteuer für jedes einzelne Haus?

Der Hebesatz bezieht sich auf die Bemessungsgrundlage für die Grundsteuer.

Und was ist die Bemessungsgrundlage?

Die Sache ist in der Technik der Berechnung etwas kompliziert, das liegt an Folgendem: Die Grundsteuer ist eine Gemeindesteuer...

Davon bleibt nichts in Bonn hängen?

Nein, direkt nichts. Höchstens indirekt über den Länderfinanzausgleich. Aber es ist eine Einnahmequelle der Gemeinde. Das Gesetz aber, nach dem die Grundsteuer sich richtet, ist ein Bundesgesetz. Nun muß man sich fragen: Wie kann die Gemeinde die Steuer selbst festsetzen, obwohl es sich um ein Bundesgesetz handelt? Sie muß einen Spielraum bekommen. Es wird eine Bemessungsgrundlage ermittelt, nur der Hebesatz ist der Wert, den die Gemeinde selbst festlegen kann.

Und wie kommt die Bemessungsgrundlage zustande?

Man geht aus vom Einheitswert des Grundstücks. Dieser Einheitswert ist geschaffen worden, weil der Wert eines Grundstückes für verschiedene Steuerarten — Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer — eine Rolle spielt. Wir wissen, daß diese Einheitswerte nicht den realen Werten entsprechen. Vom Einheitswert wird ein gewisses Promille genommen als Bemessungsgrundlage.

Wieviel ist dieser PromilleSatz?

Bei Einfamilienhäusern 2,6 Promille, bei Zweifamilienhäusern 3,1 Promille, bei anderen Wohnungen 3,5 Promille des Einheitswertes. Wenn Sie also ein Zweifamilienhaus haben mit dem Einheitswert 50.000 Mark, dann wäre die Bemessungsgröße für die Grundsteuer 150 Mark und 50 Pfennig.

An sich wird der Einheitswert den Verhältnissen angepaßt nach dem Gesetz in gewissen Zeitabständen. Da sind wir aber lange überfällig, die Einheitswerte sind lange Zeit nicht neu festgestellt worden, deshalb haben sie sich so weit von den Verkehrswerten entfernt. Man ist jetzt in Überlegungen, die Grundsteuer unabhängig zu gestalten vom Einheitswert. Die Gemeinden sollen dadurch die Möglichkeit bekommen, die Grundsteuer für Flächen, die bebaubar sind und bebaut werden sollen, hinaufzusetzen.

Wie wird denn nun der Einheitswert festgelegt?

Schwer zu sagen. Das ist ein Mischwert, der sich aus dem Bodenwert und dem Gebäudewert zusammensetzt. Da soll der mögliche Mietertrag im Jahre 1964 eine Rolle spielen.

Theoretisch könnten die Einheitswerte angepaßt werden, dann würde sich die Grundsteuer verzehnfachen.

Nein. Die Grundsteuerhebesätze nehmen ja darauf Rücksicht, daß die Einheitswerte nie angepaßt wurden. Wenn man eine neue Festsetzung der Einheitswerte vornehmen würde, müßte der Hebesatz entsprechend gesenkt werden, es würde sich keine Erhöhung der Grundsteuer ergeben.

Gegen den Hebesatz kann der Bürger aber nicht klagen?

Nein. Gegen den Hebesatz nicht.

So kann es sein, daß in einer Straße ein Zweifamilienhaus steht mit einem Einheitwert von 15.000 Mark, und daneben steht eines mit dem Einheitswert 50.000 Mark, entsprechend zahlen die beiden ganz unterschiedliche Grundsteuern.

Ja.

Das würde dem einen oder anderen doch auffallen.

Das fällt dem einen oder anderen auch auf. Dem Bundesverfassungsgericht liegen Klagen vor, und das Bundesverfassungsgericht hätte mehrfach Gelegenheit gehabt, sich zu dieser ungleichen Besteuerung zu äußern — hat es aber nicht getan. Wir rechnen mit einer Entscheidung in diesem Jahr.

Wie kann ein Gericht eine Entscheidung vermeiden?

Das Verfassungsgericht hat gesagt: Der mit dem höheren Einheitswert ist gar nicht beschwert und hat also keinen Grund zur Klage, weil auch dieser Wert immer noch zu niedrig ist. Heute würde sich das Verfassungsgericht wahrscheinlich schwer tun, das noch einmal so zu sagen, weil auf die horizontale Gleichbehandlung in neueren Entscheidungen sehr viel mehr Wert gelegt wird.

Durch den Hebesatz ist der eine Nachbar dann aber doch erheblich finanziell betroffen.

Ja....

Aber gegen den Hebesatz kann man nicht mehr klagen — geschickt.

Eine letzte Frage: Diese Anhebung der Grundsteuer ist damit begründet, daß die Straßenreinigungsgebühr nicht so schnell eingeführt werden kann. Bedeutet das: Wenn die Straßenreinigungsgebühr dann kommt, wird die Grundsteuer wieder gesenkt?

Die Frage stellt sich rechtlich anders: Rein rechtlich wird die Grundsteuer in Bremen, weil sie Bestandteil des Haushaltsgesetzes wird, immer nur für ein Jahr festgesetzt. Nach einem Jahr findet ein neues Spiel statt. Und wenn 1995 eine Straßenreinigungsgebühr kommen würde, dann wäre es völlig selbstverständlich, daß die Grundsteuer wieder auf den Prüfstand kommt.

Int.: K.W.