Aus der Hosentasche des Weltgeistes

■ Die vielleicht merkwürdigsten Kunstgegenstände der Region / Ab heute: „Grenzgänger zwischen den Künsten“ in der Langenstraße

Vor lauter Gurgeln, Sausen, Zischen konnte gestern die Presse kaum den Erläuterungen der Sachverständigen folgen, denn ringsum waren schon allerhand Gerätschaften in Betrieb genommen. So geht es halt immer, wenn man, wie der bremische BBK, die „Grenzüberschreitung“ in den Künsten zum Thema macht: Unvermeidlich kommen dann viele kleine Lautsprecherchen zum Einsatz.

Im Forum Langenstraße sehen wir ab dato also singende Schwämme, sirrende Ziegelsteine, sprechende Kunstschreinerstücke und quakende Fernseher, aus denen uns ein Finger herbeiwinkt, und wenn wir nähertreten, klappt der Deckel zu. Lauter lustige Sachen sind versammelt auf der sechsten Ausstellung des „Kunstforums Nord“, zu welchem sich die nördlichen Sektionen des „Bundesverbandes Bildender Künstler“ (BBK) verbündet haben.

Unter 100 Antragsstellern hat die Jury 20 Künstler auserwählt; eindeutig unterrepräsentiert sind die Frauen und die Meck

hierhin bitte die

Zeichnung mit den

Notenständern

(bitte Rahmen

drumrum!!!)

Marianne Greves Partituren für Salinenkrebse

lenburger. Aus Mecklenburg kamen halt nur drei Bewerbungen; keine davon diskutabel. Und die Frauen, die „hatten großteils so wabernde Batiken“, sagt Lili Fischer, neben Hanne Zech eine der Macherinnen.

Nicht alle Kunstschaffenden, die nun zu sehen sind, vollzogen ihre Grenzüberschreitung in Richtung Musik; einige streunten auch ein wenig zur Schrift

hinüber, und einer ging noch weiter und gelangte ins Reich der Idiotie: „ICH BIN GOTT“ steht meterhoch links an der Wand der großen Halle geschrieben. „Was soll ich dazu sagen?“, sagte gestern der hiesige Künstler Ralph Kull. „Vor zwei Monaten bin ich aufgewacht und wußte, was ich da hinschreiben muß.“

Nein, man hat auch oft was zum Lächeln beim Herumspazieren, denn viele nette Leute haben viele kleine Ideen gehabt: Hajo Antpöhler hat Millimeterpapierbögen mit Rubbelbuchstaben konsequent originell vollgerubbelt (“Unser Lehm ist der Kunz geweint“). Marianne Greve hat wassergefüllte Glasplatten auf Notenständer gestellt; kleine Salinenkrebse schwimmen jetzt über die Notenlinien, und bei der Eröffnung heute abend spielt nach Anleitung der Krebse tatsächlich ein ernstzunehmendes Sextett.

Weil Lili Fischer auch noch allerlei verschollenes Handwerksgerät vom Butterfaß bis zur Feuerknarre auf die Räumlichkeiten verteilt hat, kommt man sich vollends vor wie auf einer Sammlung der Merkwürdigkeiten aus der Hosentasche des Weltgeistes. Man sieht dann in allem nur noch das Kuriose, aber die meisten Werke kommen damit eh noch am besten weg.

Unter all den Einfällen auch ein Klassiker der Einfallskunst: Wolfgang Hainkes vollständiges Archiv über nicht weniger als alles und nichts, allwo sich auf Mikrofilm mittlerweile tausende von Kunstwerken angesammelt haben, darunter aber auch vollständige Handelsblatt-Seiten, Schautafeln betreffend „Roman Mosaics in Britain“, Schulungsbilder von Mercedes über die „Fahrwerksvermessung bei der Typenreihe 201“ und was sonst noch alles bei Hainke hängenbleibt und zum Glück so gar keinen Patz braucht.

Wie weit sich dieses Kunstkonzentrat wieder ausdehnt, liegt im Ermessen des Volkes: Hainke stellt ihm ein Lesegerät mit eingebautem Kopierer hin; da kann es sich alles in beliebigen Ausschnitten ausdrucken lassen und die Wand damit bepflastern.

Die Ausstellung des „Kunstforums“, übrigens die erste in Bremen, wird komplettiert durch eine Aufführung des „Kleinsten Theaters der Welt“ (am Sonntag um 16.30 Uhr) und zwei Podiumsdiskussionen zu Fragen der Zeit (Ende Oktober). Auf dem Marktplatz steht zudem seit heute eine enorme Säule herum mit Wasser drin und Fischen, denen man durch Bullaugen zuschauen kann; es ist eine Säule, in der im Werktagsleben Tauchvorführungen stattfinden. Und siehe da, diesmal blubbert, klimpert und zirpt im Innern von Ingo „Dacapo“ Ahmelsder stadtbekannte Konzertflügel „Pegasus“, der auch längst die Grenzen seiner Kunst überschritten hat und richtig schwimmen kann. Manfred Dworschak