Village Voice
: Geschichte und Geschehen

■ Jubiläen ohne Ende: Die Haut feiern ihr Elfjähriges mit einer Live-CD

Und hier ein paar Neuigkeiten von der Berliner Prominenz, ein klein wenig Klatsch und Tratsch über die Hautevolee der städtischen Musikszene: Blixa Bargeld hat kürzlich über seine Plattenfirma Noten für die seiner Ansicht nach beste und schlechteste Zeitungskritik der Neubauten- Platte „Tabula Rasa“ verteilt. Gewinner wurde das Hifi-Vision- Magazin, Verlierer, man glaubt es kaum, der Musikredakteur der Zeitung, die Sie gerade lesen. Prämien sollen eine Neubauten- Uhr und eine Bargeld-Klammer sein, der Ort der feierlichen Überreichung ist bisher noch nicht bekannt. Herzlichen Glückwunsch, kann man da nur sagen und Interessantheit und Wichtigkeit dieses Ereignisses nicht zu knapp herausstreichen. Ehre, wem ...

Die Haut kommen aus dem Dunstkreis von Bargeld und Co. und sind eigentlich auch schon fast nicht mehr von dieser (Berliner) Musikwelt: zu international ihr letztjähriges Jubiläumsalbum (10 Jahre), zu elegant ihr Auftreten und zu exotisch ihre nächste Tour (die sie hauptsächlich nach Brasilien führen wird; natürlich hat in diesem Fall Kollege Cave seine Beziehungsfäden ein bißchen weitergesponnen, da er eine Zeitlang Gast dieses Landes war). Die Haut dürfen sich aber auch der Unterstützung und Hilfe des Goethe-Instituts sicher sein. Heißt: Die nächsten gestandenen Undergroundler go Hochkultur. Im übrigen feiern sie irgendwie immer noch ihr Jubiläum, denn Cave und Bargeld, Lydia Lunch, Kid Congo Powers und selbst Jeffrey Lee Pierce, die das Jubelkonzert supporteten, sind als Begleitung wieder mit dabei.

Wohl aus diesem Anlaß gibt es jetzt eine Live-CD des Auftritts im Tempodrom. Sie bietet, wie bei Liveaufnahmen so üblich, nicht viel Neues, auch wenn die Plattenfirma da ganz anderer Meinung ist: „Neu“ sind für sie zwei Stücke einer nicht mehr erhältlichen früheren Platte von Die Haut mit Nick Cave als Sänger (wird es – Marktstrategie sei Dank – mit Sicherheit bald wieder geben) sowie drei andere, bei denen Alexander Hacke (Neubauten, Ex-Crime & the City Solution, neuerdings wieder Jever Mountain Boys) und Kid Congo Powers mit dem Mikrophonständer eins sind. Der Rest ist Geschichte und Geschehen, für eingefleischte Fans möglicherweise eine schöne Sache, für Neueinsteiger findet sich aber auch ein Grund, mal reinzuhorchen. Denn trotz des allgewaltigen Star-Aufgebots spielen die Haut auch immer noch ihre gesangsfreien Instrumentals, und das macht den Reiz dieser Band aus, das manisch-monotone Gitarreninferno, schon mal „Psycho“ betitelt, das galoppierende Westernmoment oder die Idee, daß Musik immer auch ein Film sein kann, der Bilder en masse ins Hirn und auf die Netzhaut projiziert. Dafür gibt es dann „Anschlag“, „SHC“, „Victory“ oder „Aischa“, die monolithengleich das Gerüst jedes Live- Auftritts und folglich auch von „Sweat“ bilden.

Per Covergestaltung präsentieren uns die Haut ihre ganz eigene Sichtweise von Erfolg und der Haltung dazu. „Head On“, der multiprominente Vorgänger von „Sweat“, sah Lingk, Arbeit, Wydler und Dreher im Grünen vor dem Inbegriff deutscher Gründlichkeit, Machtstreben und Erfolg stehen, einem mächtig großen und teuren Auto der bayerischen Motorenwerke. „Sweat“ nun ist der Abfallhaufen, die Attraktivität, die auch schon ein preßfähiger Schrotthaufen auf vier Männer in Anzügen ausüben kann; und zu guter Letzt auch ein zerstörter BMW symbolisch bestens auf die Musik transferieren kann.

Natürlich geht es munter weiter, die Zeiten sind zwar andere, doch das Ziel ist klar umrissen: 15 Jahre die Haut. Die Neubauten haben jetzt 13 auf dem Buckel, sind folgerichtig etwas früher dran. Damit aber niemand in Berlin allzulange warten muß, lud Nick Cave vor kurzem zu einer kleinen „Birthday Party“ in die Halle ein; vielleicht war der Anlaß ja wirklich sein Geburtstag.

So feiern sie die Feste, wie sie ihnen gerade einfallen – schließlich wollen die mittlerweile mythischen Ghettostadtzeiten immer mal wieder erinnert werden. Der matte Glanz der Inselmusik, der letzten wahren Apokalypse im Unterground-Geschehen, soll eben auf ewig erstrahlen. Und: Schön war es ja schon gewesen. Gerrit Bartels

PS: Ein Haut-BMW als Belohnung wäre nicht schlecht, eine schnöde Haut-Salbe als Trostpreis würde der Autor allerdings auch verschmerzen können.

Die Haut: „Sweat“ (What So Funny About/Indigo)