Wand und Boden
: Wegweisende Antworten auf Ansprüche unserer Zeit

■ Kunst in Berlin jetzt: Alexander Dettmar, Robert Wilson, Stephen Willat und Gabriele Konsor

„Ein jüdischer Friedhof in Berlin“ ist der Anlaß für Alexander Dettmars Bilder-Zyklus „Steine für die Ewigkeit“. Die Achtung vor der ewigen Totenruhe macht, daß sich auf jüdischen Friedhöfen die Grabsteine neigen dürfen, absinken und umkippen dürfen; daß sie Zeugnisse der Vergänglichkeit sind. Der Friedhof Schönhauser Allee birgt solche Grabmale, die zur eigenwilligen Steinlandschaft verfallen sind. So jedenfalls, auf karge Formen reduziert, bringt sie Alexander Dettmar in pastosem Farbauftrag auf die Malfläche. Kein Baum- oder Busch-Grün mildert in diesen fast monochromen Kompositionen in Weiß, Beige, Ocker, Braun und manchmal kräftigem Rostrot die Abstraktion der Denkmale in steinerne Architektur. Allein wenige schwarze, senkrechte und vertikale Linien geben dem Malgrund eine angedeutete räumliche Tiefe. Der Friedhof als Farbfläche und Formchiffre gewinnt konkrete Geschichte, wenn Dettmar die Namen, die auf den Grabsteinen zu entziffern waren, in der unteren rechten Bildecke vermerkt. Etwa den Namen Max Liebermann, der so über seiner Signatur zu stehen kommt. Aber auch für die nicht gekennzeichneten Bilder gilt: „Jeder Stein spricht von einem vergangenen Leben, das einen Namen hatte“, wie Vera Friedländer, die in der Nachbarschaft des Friedhofes lebt, im Katalog bemerkt.

Bis 17. Oktober, Jüdisches Museum, Martin-Gropius-Bau, Stresemannstr. 110, Di.–So., 10–18 Uhr

Memento mori auch bei Robert Wilson in der Galerie Franck + Schulte. Nicht wie bislang sind Zeichnungen und Objekte zu sehen. Vielmehr hat der Künstler drei Galerieräume eingerichtet, vielleicht auch her-, an- und zugerichtet. Der erste versinkt in dunkelstem Blau. In ihm hat Wilson ein Rembrandt-Gemälde, die Opferung Isaaks, im figürlichen Fragment zweier Gipsarme und eines Dolches reformuliert. An der Wand kehrt die in den Raum gehängte Szenerie als Schattenspiel wieder. Abrahams tötungswillige Hand und der Dolch werfen irdische schwarze Schatten. Die Hand des Engels, die Abraham in den Arm fällt, erscheint weiß. Die Installation erdröhnt im an- und abschwellenden Lärm eines Hubschrauberrotors. „Monsters of Grace“, zweiter Raum: Der Lärm des Hubschraubers ist ersetzt durch eine verlangsamte Bach-Suite, dafür gibt es den Hubschrauber als verbleites Blechmodell. Eine Totenmaske ziert eine Galeriewand, eine Raumecke ist mit Schrift und Zeichen belegt, wie sie Wilson in einem von Rumänen bewohnten Asylbewerberheim vorfand. Das letzte Sterbezimmer zeigt eine liegende männliche Figur, bis unter die Achseln in einer Filzdecke steckend. Daneben kniet eine Frau im korrekt-grauen Kostüm mit weißer Bluse. Die Wachsfiguren sind ergänzt durch die Skulptur eines nackten Mannes, der, überlang aufgerichtet, in bedrohlich nach vorn überkippender Schräglage auf einer designed-stilisierten Parkbank festgemacht ist. Aus dem Lautsprecher wird ein Text klassischer Bildung verlesen. Die Herausforderung des Bühnenstücks liegt am Ende darin, zuzugeben, daß man ihn nicht kennt.

Die parallel zu Wilson gezeigten Arbeiten des englischen Konzeptkünstlers Stephen Willats „Walking Together for the First Time“ dagegen sind eine folgerichtige Fortentwicklung der Fotomontagetechnik. Eine Gruppe von sechs Personen, vier Männer, zwei Frauen, so bedeutet der Titel des ersten Blatts, treffen sich zum ersten Mal, vor dem S-Bahn-Ausgang beim Fernsehturm am Alexanderplatz. Unter dem schwarzweißen Fotodruck, der eine übliche Gruppenformation zeigt, sind sechs bunte Quadrate gesetzt. Davon ausgehende Pfeile zeigen Blick- und Kommunikationsrichtungen an, wie sie auf dem Foto zu beobachten sind. Das Wort „uncertainty“ ergänzt die Aufzeichnung der Begegnung am wüsten städtischen Ort. „Wie ein Würfelwurf“ stehen die sechs vor dem Aufgang zum Fernsehturm, sie wollen etwas übereinander herausfinden, etwa, was sie verbindet, und sie wollen die Erfahrung miteinander offenhalten. Je nach Situation verändert sich der bunte Würfelwurf der Quadrate und ihrer Pfeile. Willats zeigt in seiner Offenlegung der unsichtbaren, magischen Fäden, die die Personen auf jedem noch so trivialen Gruppenfoto zu dirigieren scheinen, subversive Sympathie für die ebenso banalen wie heroischen Kommunikationsanstrengungen, die uns alltäglich abgefordert werden. Obgleich der Pfeil des Betrachters nicht im Bild ist – auch nicht in der zweiten Bildserie „Walking between Objects“, in der Uhren und Vasen mit deutlichen Sechziger-Jahre-Formen, Hochhäuser und bunte Quadrate in ähnlicher Weise gegeneinandergestellt sind –, wird ihm deutlich, daß er im Herantreten an die Blätter, in ihrem Studium, der Mitarbeit am künstlerischen Projekt nicht entkommt. Als Subjekt wie als Objekt.

Je bis 23. Oktober,

Mommsenstraße 56,

Mo.–Fr. 11–18 Uhr, Sa.11–15 Uhr

Der „spirit of intention“ von Gabriele Konsors Arbeiten, die sie derzeit im Studio III in Bethanien zeigt, scheint Willats Forschungsarbeit über den Alltag des Stadtbewohners auf untergründige Weise zu ergänzen. Zur Belohnung bietet sie gegen das Betongrau als Symbolfarbe des urbanen Überlebensmuts leuchtendbunte, auratisch strahlende Herzen auf. „AURACOR“ heißt denn auch ihre neue Edition, die fotografische Reproduktionen nach Originalzeichnungen umfaßt. Je nach Nachfrage sind sie in verschiedenen Größen, verschiedenen Ausführungen, wie Postkarte oder Poster, und zu unterschiedlichen Preisen käuflich zu erwerben.

Feinsäuberliche, realistisch wie im Naturkundelehrbuch gezeichnete Motive undefinierbarer Herkunft scheinen Horror-Filmer David Cronenbergs „Ästhetik der inneren Organe“ zu zitieren. An Kniegelenken kräuseln sich bläuliche Venen nach außen. In einem anderen Fall bilden sie dort aber eine versöhnliche Rosenblüte. Im Weltall schwebende knallbonbonähnliche Gebilde entlassen ebenfalls Gedärmartiges. Den offengelegten Herzen entspricht die offenherzige Selbstanzeige der Künstlerin im Ausstellungskatalog: „Die AURACOR-Edition ist Gabriele Konsors wegweisende Antwort auf die besonderen Ansprüche unserer Zeit.“ Brigitte Werneburg

Bis 24. Oktober, Mariannenplatz2, tägl. 14–19 Uhr, außer montags