Wenn der Karpfen leise blubbert

■ Bekenntnisse eines linken Anglers: Angeln ist Natur erleben und nicht nur Fische quälen - auch wenn die WG-Pfanne leer bleibt / Das Drüberreden ist das Zweitschönste

„Neulich, als ich angeln war“, mehr zufällig sind mir diese Worte herausgerutscht, aber nun ist es nicht mehr zu ändern. Jawohl, ich bin Angler. Anfangs habe ich das noch zögernd zugegeben. Langweiler, Fischquäler, Möchtegern- Machos mit der Rute als Phallussymbol, ach, was muß man sich alles anhören. Inzwischen weiß ich: Ich bin nicht allein, nein, wir sind viele, auch in der Linken. „Was, du angelst auch?“ Wenn sich zwei solcher Verschwörer treffen, ist der Abend gerettet. Angeln ist wie Skat – das Drüberreden ist das Zweitschönste.

Ein paarmal im Jahr ist es dann soweit, das Wetter lockt, ein Spaziergang zu „Müllers Angelmarkt“ in der Falckensteinstraße – definitiv der schönste Laden der Stadt. Man hat einen Haufen Geld ausgegeben, und dann, nach zahllosen Versuchen, mit den Freunden endlich einen gemeinsamen Termin zu finden, drängt es hinaus zum See. Zum Beispiel nach Buckow. Dort, in dem kleinen Angelgeräteladen, muß noch mal gelöhnt werden, eine Tagesangelkarte für 10 Mark, und dann hält uns nichts mehr – auf ans Gewässer. Bepackt wie die Lastesel mit Ruten, Gerätekasten, Rucksack, Gummistiefeln, Freßpaketen, Anglerstühlchen, großem Regenschirm und diversen Geräten, stapfen wir durch den Wald zu unserer Lieblingsstelle, wo Robbi im letzten Jahr den großen Hecht..., weißt du noch? Psst, nicht mehr reden, du verscheuchst ja die Fische, Depp.

Im Sommer geht's auf Karpfen. Haben wir es erst mal geschafft, uns und unsere Ausrüstung einigermaßen an der kleinen Angelstelle zu deponieren, dann kriegt uns hier für die nächsten Stunden niemand mehr weg. Ein wenig Anfüttermittel ins Wasser geschmissen, die Ruten mit Laufpose auf kurz über Grund eingestellt, und dann zurücklehnen, Ruhe, Warten. Vielleicht noch eine Dose aufstellen, um die Zigarettenkippen nicht in die Umgebung zu werfen, aber von diesem Moment an ist jede weitere Bewegung zuviel. Die Pose steht ruhig genau da, wo sie hinsoll, manchmal tänzelt sie ein bißchen auf der Wasseroberfläche, wenn Wind aufkommt. Die Schnurklemme an meiner Rolle ist offen – Karpfen können so schnell davonziehen, daß sie die ganze Rute mitreißen könnten, wenn der Riegel geschlossen ist. Eine halbe Stunde lang tut sich gar nichts. Mittlerweile bin ich entspannt, habe alles, aber auch alles vergessen. Es ist still, kein Mensch außer uns weit und breit. Um meine Pose herum tauchen Luftblasen auf. Ein Fisch gründelt, eine Brasse, ein Karpfen? Doch an der Pose tut sich nichts, auch nicht das kleinste Zupfen. Die Maden, die verheißungsvoll am Haken hängen, haben den Fisch nicht interessiert. Ich stehe kurz auf, um mir aus dem Rucksack ein Brötchen zu holen, und da passiert's, wie immer – Murphy's Law beim Angeln. Mit den Augen suche ich meine Pose, sie ist weg, ich bemerke die Rute, über die unablässig Schnur abläuft, mit zwei Sätzen bin ich an der Angel, falle fast ins Wasser, jetzt habe ich die Rolle im Griff, ziehe an und fühle den Fisch. Die Rute biegt sich durch, aber ich merke schnell, daß es kein großer ist.

Jetzt nur aufpassen, daß es der Fisch nicht schafft, irgendwo unter einen ins Wasser hängenden Baum zu entkommen – dann hätte ich keine Chance mehr, ihn an Land zu bringen, irgendwann würde die Schnur reißen, ich wäre sauer, und der Fisch würde mit dem Haken im Maul ziemlich böse verenden. Aber mit dem kleinen Karpfen gibt es keine Probleme. Nach kaum einer Minute habe ich ihn in Kescherweite, dann muß es schnell gehen. Den Fisch möglichst knapp über Wasser greifen – am besten wäre im Wasser, aber das wird meist nichts –, und vorsichtig den Haken aus dem Maul ziehen, noch einmal kurz angeguckt, und auf Wiedersehen, wenn du größer bist.

Eins ist jetzt klar: Hier gibt es Karpfen. Und so klein, daß es ein frischer Besatzfisch war, gerade erst eingesetzt vom örtlichen Angelverein, war der von eben nun auch wieder nicht. Es muß also auch größere geben, das wär' doch gelacht. Ein neues Madenbündel an den Haken und die Pose wieder an die gleiche Stelle geworfen. Jetzt rührt sich erst mal eine ganze Weile gar nichts nach all dem Krach, den ich angerichtet habe. Nun heißt es wieder warten. Aber Warten beim Angeln ist ja nicht wie Warten auf den Bus. Nein, im Grunde reicht es schon, wenn die Pose draußen ist. Zeitlos.

Es ist früh am Nachmittag, die Fische sind zurück, man sieht's an den Luftblasen. Eine Kinderstimme, nein, zwei. Eine ganze Familie kommt da am Ufer langspaziert. Ich ducke mich, ich weiß, was jetzt kommt, nein, nein, bitte nicht, beam me up, Scottie. Ich versuch's mit Telepathie: Halt's Maul, oder ich mach' dich zu Anfüttermittel. Es kommt, wie es kommen muß: „Na, beißen sie?“ fragt Vattern und zeigt den beiden Gören, wo meine Pose liegt. Das Mädchen bollert gegen meinen Angelkasten. „Ich hab', früher auch geangelt“ – Vattern ist in Gesprächslaune. Angler sind nette Leute.

Die Familie ist weg, die Fische auch. Wir bleiben bis zum Abend, genießen den Sonnenuntergang, ab und an zupft es an der Leine. Gefangen haben wir nichts, was die Mitnahme gelohnt hätte – die WG- Pfanne bleibt leer. Diesmal. Wir kommen wieder. Bernd Pickert