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It happened one night

Schwulenalltag, Coming-out-Problematik, Generationskonflikt, Krieg der Geschlechter, Geschichte und Politik Taiwans: auf den zweiten Blick ist Ang Lees „Hochzeitsbankett“ die verzwickteste Komödie des Kinoherbstes  ■ Von Christiane Peitz

Endlich allein. Nach dem Hochzeitsbankett atmen die Frischvermählten auf. Vorbei das ermüdende Familientheater, das rauschende Fest mit all seinen Trink-, Kuß- und Tanzritualen, vorbei der Streß mit der Tradition. Schuhe aus, Krawatte gelockert, die Scheinehe zwischen dem Taiwanesen Wai-Tung Gao und der Chinesin Wei-Wei ist geschlossen. Die eigens aus der Heimat hergereisten Eltern Gao (die nicht wissen, daß ihr Sohn schwul ist) sind's zufrieden, genauso wie die Braut, die zwecks Green Card einen US-Gatten dringend benötigte. Denn Wai- Tung ist längst amerikanischer Staatsbürger, assimiliert, Makler von Beruf, mit Eigenheim und fester Beziehung ausgestattet: Lebenspartner Simon hatte für die Hochzeit gute Miene zum gelungen falschen Spiel gemacht und eifrig den Hausfreund und Fotografen gegeben. Denn auch steuerlich schlägt das Arrangement günstig zu Buche.

Endlich vorbei. Aber dann klopft es am Hotelzimmer, die Jugend stürmt die Honeymoon- Suite, quartiert sich ein mit Whisky und Champagner und besteht auf Vollzug: ab unter die Bettdecke. So geschieht es seit Generationen, so soll es auch diesmal sein. Das betrunkene Paar fügt sich der Tradition...

Auf den ersten Blick ist „Das Hochzeitsbankett“ nur eine konventionelle Komödie über den Zusammenprall von Kulturen und den Konflikt zwischen Tradition und Moderne. Ein bißchen Liebe, ein bißchen Intrige und viel Multikulti. Auf den zweiten Blick fällt auf, daß Ang Lees Film eine Ausnahmeerscheinung darstellt. Wann schon beschäftigt sich das Mainstream-Kino mit Verliebtheit und Alltag von Homosexuellen, mit so komplizierten Sachverhalten wie Geschichte und Politik Taiwans, mit nationaler, kultureller und sexueller Identität? Ang Lee bringt das Kunststück fertig, schwules Coming-out, den Generationenkonflikt, den Krieg der Geschlechter, die Probleme der chinesischen Republiken und das Überleben in New York zwischen Chinatown und Fitness-Club in eine schlüssige Story zu integrieren, die uns zunächst und vor allem ihre Helden nahebringt. Keine Prototypen, sondern gewöhnliche, lebendige Zeitgenossen; fleißige Yuppies, ausgeflippte Künstler, konservative Eltern – keiner von ihnen wird denunziert. Wenn Wei- Wei ihren Vermieter und künftigen Gatten zwecks Zahlungsaufschub vergeblich anzubaggern versucht, wenn Simon mit dem Schwiegervater beim Joggen asiatische Familienpolitik betreibt, wenn der Ex-General Gao im New Yorker Chinarestaurant seinen ehemaligen Offizier wiedertrifft, wenn das schwule Paar den hochzeitsbedingten Triebverzicht nicht länger zu leisten vermag und sich um ein Haar auf der Treppe zum Schlafzimmer von Mutter Gao erwischen läßt, dann merkt man vor Lachen erst gar nicht, welche „Vereinigungen“ da alle thematisiert sind.

Die Komik steckt nicht zuletzt darin, daß zusammenwächst, was nicht zusammengehört: „Das Hochzeitsbankett“ widmet sich dem Freud und Leid sogenannter Minderheiten, aber mit den ästhetischen Mitteln Hollywoods. Hauptdarsteller Winston Chao war früher Model, May Chin, die Darstellerin der Wei-Wei, hat eine Karriere als Schlagersängerin hinter sich, und Mitchell Lichtenstein alias Simon kennt man aus Robert Altmans „Streamers“, aber auch aus „Miami Vice“. So ist das Andere endlich einmal nicht das Fremde, sondern das Normale. Die Pointe: Das Happy-End bricht mit der Konvention, indem es sie erfüllt.

Auf der Berlinale gewann „The Wedding Banquet“ übrigens den Goldenen Bären, zusammen mit den „Frauen vom See der duftenden Seelen“, einem Film aus der Volksrepublik. So bewerkstelligte die Jury ein weiteres Happy-End, indem es die beiden Chinas vorab ex aequo vereinte. Nach wie vor werden die Filme der einen im Gebiet der anderen Republik zensiert oder gar verboten, selbst dann, wenn es sich um chinesisch-taiwanesische Koproduktionen handelt, wie bei Chen Kaiges „Adieu, meine Concubine“.

Wai Tung ist Ang Lees alter ego. Wie dessen Familie wurde auch die des Regisseurs von den Kommunisten ermordet, die Überlebenden flohen vom Festland nach Taiwan, auf Ang Lee als ältestem Sohn lasteten „sämtliche Erwartungen um die Aufrechterhaltung der Familientradition. In den Staaten habe ich versucht, mich durch Filmemachen von diesem Druck zu befreien.“ Befreiung ist kein schlechter Impuls fürs Erzählen, im „Hochzeitsbankett“ rührt die befreiende Wirkung nicht zuletzt von Lees Selbstironie. Der leichte und heitere Ton, in dem hier von ernsten und ja auch eigenen Angelegenheiten die Rede ist, läßt einen nachgerade neidisch werden.

Nach solchen Komödien über die landeseigene Vereinigung sehnt sich die deutsche Zuschauerin bis heute vergeblich.

„Das Hochzeitsbankett“. Regie: Ang Lee, Buch: Lee, Neil Feng, James Schamus, Kamera: Jong Lin; mit Winston Chao, May Chin, Mitchell Lichtenstein, Ah-Leh Gua, Sihung Lung. Taiwan/USA 1993, 102 Min.

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