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Morgen, wenn Fidel Castro stürzt

In Miami im US-Bundesstaat Florida leben 600.000 Exilkubaner / Aufenthaltsgenehmigung und Arbeitserlaubnis nur eine Formsache / Für viele ist Dialogbereitschaft mit dem „máximo lider“ Verrat / Ansätze zur Perestroika  ■ Aus Miami Andrea Böhm

Es ist heiß. Dreißig Grad im Schatten. Wer sein Auto in der Sonne parken muß, kann nach einer halben Stunde kaum das Lenkrad anfassen. Die Hitze hält die Touristen nicht davon ab, nach dem Mittagessen im Gänsemarsch an den Strand von Key West zurückzukehren und sich in gebührender Entfernung von schattigen Palmen der Sonne auszusetzen – mit Schutzfaktor 30 auf der Haut, Spiegelbrillen vor den Augen und Baseballmützen auf dem Kopf. David Padron Benitez sitzt ein paar hundert Meter entfernt von Palmen, Sand und Windsurfern in einer Holzbaracke – in der Hand das erste Besitzstück in seinem neuen Leben: eine Zahnbürste. Nichts könnte ihn ins Freie oder gar an den Strand locken. Die Sonne ist ein Todfeind, das Meer ein Friedhof. Mit Hilfe einer übergroßen Portion Glück und der US- Küstenwache ist er beiden entkommen.

David Padron Benitez ist am Vortag mit elf Landsleuten in einem kleinen Boot aus Kuba geflohen. Nach zwölf Stunden auf See, ausgestattet mit etwas Trinkwasser und Maschinenöl gegen die Haie, fischte sie die US-Küstenwache aus dem Meer. Nur 40 Prozent, so schätzen die US-Behörden, überstehen die 140 Kilometer zwischen der kubanischen Nordküste und dem Südzipfel von Florida. Die anderen werden durch Winde oder Strömungen abgetrieben, ertrinken, verdursten, fallen den Haien zum Opfer. Glück im Unglück hat, wer wieder an der kubanischen Küste landet – und möglicherwiese für einige Monate im Gefängnis. Glück hat, wer bis zur Holzbaracke von Arturo Cobo kommt, dem „Transitlager für kubanische Flüchtlinge“. 1990 waren es rund 300, 1992 über 2.000 Flüchtlinge. Benitez ist an diesem Tag einer von 44 Neuankömmlingen.

„Seht Euch das an“, ruft Cobo und betastet mit zwei Fingern die Oberarme des Neuankömmlings. „85 Kilo hat der Junge mal gewogen. Hatte Muskeln wie ein Bodybuilder. Und jetzt ...“ Jetzt wiegt der 28jährige noch 63 Kilo. Als LKW-Fahrer hat er gearbeitet, bevor ihn die kubanische Polizei bei seinem ersten Fluchtversuch erwischte. Er saß neun Monate im Gefängnis ab. Sein Nebenmann ist noch hagerer, die Wangen eingefallen, in den Augen jener unnatürlich wache Blick von Menschen, die seit langem nicht mehr genug zu essen haben. Im hinteren Teil der Holzbaracke simmern Bohnen und Hühnchen in einem Topf – ein ziemlich deftiges Frühstück für die erschöpften Flüchtlinge. „Frühstück?“ sagt Benitez, „In Kuba gibt es kein Frühstück mehr.“

Am nächsten Tag soll er mit dem Bus nach Miami gebracht werden. Weil Benitez dort keine Angehörigen hat, werden ihn die Behörden in einen anderen Bundesstaat weiterschicken. Ein Asylverfahren bleibt ihm erspart. Aufenthaltsgenehmigung und Arbeitserlaubnis sind eine Formalie. Bei allem, was er durchgemacht hat, kann sich Benitez in einer Hinsicht glücklich schätzen: Er ist kein Haitianer, Chinese oder Salvadorianer. Im Gegensatz zu allen anderen sind kubanische Flüchtlinge in den USA noch willkommen. Es war David Padron Benitez sechster Fluchtversuch. Zurückgehen will er erst, „wenn Castro tot ist“.

Den kubanischen lider umzubringen – das hat Arturo Cobo versucht, da war Benitez noch gar nicht geboren. 1960, knapp ein Jahr nach Castros Einzug in Havanna, hatte Cobo, Sohn eines Bankpräsidenten, Kuba per Flugzeug Richtung Miami verlassen. Gerade 19jährig, ließ er sich von der CIA in ein militärisches Ausbildungslager nach Guatemala schicken und von dort mit der „Brigade 2506“ direkt in die „Schweinebucht“. Was ein glorreicher Tag im Kampf gegen den Kommunismus werden sollte, endete aus Cobos Sicht in einem „Desaster“ und mit dem „Verrat durch die Amerikaner“.

Luftunterstützung und einen schnellen Sieg hatte Präsident Kennedy ihnen versprochen. Doch innerhalb von 48 Stunden hatte die kubanische Armee unter dem persönlichen Kommando Castros die US-Invasion abgewehrt. Den Gefangenen wurde später in Havanna der Prozeß gemacht, Arturo Cobo zu dreißig Jahren Gefängnis verurteilt. Knapp anderthalb Jahre später kaufte die Kennedy-Administration ihre kubanischen Bundesgenossen frei. Im Football-Stadion von Miami überreichten Cobo und andere Exilkubaner dem Präsidentenpaar feierlich die Fahne der Brigade 2506. Der Präsident und Jackie hätten sich bedankt „und dann hat er versprochen, daß er die Flagge eines Tages persönlich in Havanna hissen wird“.

Kennedy ist tot, Castro immer noch an der Macht und aus dem kämpfenden Konterrevolutionär Arturo Cobo haben die politischen Verhältnisse inzwischen einen Samariter für die balseros, die kubanischen Boat people gemacht. Ein bißchen rund um die Hüften und füllig im Gesicht ist er geworden. Sein Geschäft, ein Geldtransportunternehmen, geht gut und läßt ihm genug Zeit, sich um das Transitlager zu kümmern. Er hat es selbst vor einem Jahr gegründet, nachdem der Hurrikan „Andrew“ die Flüchtlingsunterkünfte auf dem benachbarten Navy-Stützpunkt zerstört hatte.

Aus dem Provisorium ist dank Spenden der kubanischen Exilgemeinde eine Dauereinrichtung geworden mit Schlafbaracken, Lagerräumen, einem Wohnwagen, in dem Verletzte notdürftig medizinisch versorgt werden können. Dazwischen stauen sich Flüchtlingsmemorabilien, die an das Berliner Mauermuseum erinnern: Bilder von Rettungseinsätzen auf hoher See, selbstgeschnitzte Ruderblätter und einige Exemplare der abenteuerlichen Flöße, mit denen die balseros in See gestochen sind: Sie bestehen aus notdürftig zusammengezimmerten Brettern oder verschraubten Leitungsrohren, die von Autoschläuchen über Wasser gehalten werden.

Die halsbrecherischen Fluchtmittel, die eingefallenen Wangen der balseros, die Berichte über Mangelkrankheiten – all das sieht Arturo Cobo als Bestätigung seiner Prognose: Castro, der „Gangster mit einer Mercedes-Flotte, zehn Mätressen und Bankkonten in der ganzen Welt“ wird nur durch eine Eskalation im Land selbst zu stürzen sein. Deshalb müsse das Embargo, jene ökonomische Genickschraube um Kubas Hals, um jeden Preis aufrechterhalten werden. Daß unter anderem das Embargo zu Hunger und Not im Land beiträgt, ist kein Argument, das ihn sonderlich beeindruckt. Es wird einen Bürgerkrieg geben in Kuba, davon ist er überzeugt, und wenn es sein muß, wird er wieder kämpfen „bis zum letzten Blutstropfen“. Mit Castro verhandeln? – Nie.

Der Monsignore hört solche Schwüre seit 35 Jahren. Er ist der Chronist der Exilanten und Immigranten, die in den letzten drei Jahrzehnten die Demographie in Miami völlig verändert haben. 1959 war die Stadt noch ein Touristenort mit überwiegend weißen Einwohnern und Besuchern. Heute leben nur in Havanna mehr Kubaner als in Miami. Inzwischen sind es fast 600.000. Neben San Antonio und El Paso ist Miami die erste US-Großstadt mit einer spanischsprachigen Mehrheit. Und die Weißen, die Anglos? „Die Anglos“, sagt der Monsignore ein wenig belustigt, „haben geflucht und geschrien. Dann sind sie entweder weggezogen oder sie haben sich angepaßt.“ Der Monsignore ist Anglo und hat sich angepaßt. Er spricht außer Englisch fließend Spanisch und Französisch und frischt bei einem Rabbi gerade sein Hebräisch auf. Denn in Miami leben auch viele Juden – und wenn der Monsignore etwas liebt, dann ist es Kommunikation. Außerdem ist der Multikulturalismus quasi sein Beruf: Seit 1955 leitet Bryan Walsh die Catholic Community Services der Erzdiözese von Miami, einer Art Caritas für Flüchtlinge und Immigranten.

Es gibt sicher aufmunterndere Berufe, doch Bryan Walsh hat offenbar nach all diesen Jahren ungebrochenen Spaß an seiner Arbeit – und an sich selbst. Seine schlaksige Gestalt räkelt sich in einem Bürosessel, während sein Gedächtnis trotz offensichtlichen Schlafdefizits immer neue Anekdoten über diese Stadt und ihre Leute ausspuckt. Der Monsignore gehört zu den wenigen Menschen, die auch beim Gähnen weitersprechen.

Aller ideologischen Bruderschaft zum Trotz waren die Kubaner in Miami nicht willkommen. Manche hatten bereits Besitz und Dollarkonten in Florida, andere besaßen nicht mehr, als sie mit ins Flugzeug nehmen konnten. Die Stadt steckte in einer Rezession und hatte sich mit einem Bauboom übernommen. Die Stadtverwaltung witterte soziale Probleme, die Gewerkschaften Lohndrücker, die Tourismusbranche fürchtete ums Geschäft. Allein die Kirche und der Monsignore kümmerten sich anfangs um die Neuankömmlinge.

Immerhin, Unterkunft ließ sich leicht finden: Dank der Profitgier von Baufirmen standen unzählige Gebäude leer – unter anderem in dem Stadtteil, der heute „Little Havanna“ heißt. Ein Jahr später bequemte sich die Bundesregierung eher zögerlich zu einem Hilfsprogramm, das jedem Flüchtling hundert Dollar im Monate garantierte, wovon sechzig Dollar für die Miete abgingen. Lange, so dachte man in Washington, würden sie ohnehin nicht bleiben. Schließlich bereitete man gerade den Sturz Castros vor. Es kam bekanntermaßen anders.

„Wir haben da ein Entsorgungsproblem“, soll CIA-Direktor Allen Dulles 1962 Kennedy ins Ohr geflüstert haben. Washington und Moskau hatten die „Kuba- Krise“ gerade noch einmal auf friedlichem Wege geregelt, die Russen ihre Raketen abzogen und die USA zugesichert, Castro nicht mehr durch Invasionen zu behelligen. Was die Welt aufatmen ließ, verbitterte all jene Kuba-Flüchtlinge, die auf eine militärische „Lösung“ in Sachen Kuba gehofft hatten. Tausende frustrierter Exilanten und militanter Konterrevolutionäre – diese potentiell explosive Mischung saß nun in Miami fest, was dem CIA-Direktor offenbar Sorgen bereitete. Er mußte es wissen, schließlich hatte die CIA sie zum größten Teil für jenes nie erreichte Ziel ausgebildet: den Sturz Castros. Quasi als Kompensation für die Nichterfüllung des Plansolls entschloß sich die Bundesregierung zu einem Integrationsprogramm für kubanische Flüchtlinge und finanzierte Transportkosten, Kredite für Unternehmensgründer, Umschulungs-und Ausbildungskurse. Wer in Kuba enteignet worden war, konnte den Verlust in den USA von der Steuer absetzen. Die CIA entwickelte bislang ungekannte Fähigkeiten bei der Beschaffung von Arbeitsplätzen. Mitte der sechziger Jahre standen in Florida rund 12.000 Exilkubaner auf der Gehaltsliste des Geheimdienstes. Es gab CIA-Reiseagenturen, CIA-Maklerbüros, CIA-Bootswerften, CIA-Waffengeschäfte, CIA-Detektivbüros. Die University of Miami beherbergte zu dieser Zeit die größte CIA-Filiale außerhalb des Hauptquartiers in Langley, Virginia. Es war eine der gigantischsten AB-, Indoktrinations- und Überwachungsmaßnahmen.

Auch beim Monsignore krochen sie unter, aber beweisen konnte er es meist nicht. Es wäre jedoch unfair, zu behaupten, die Exilkubaner hätten ihren Aufstieg in Miami allein Bundesgeldern und der CIA zu verdanken. „Doktoren sind putzen gegangen. Ingenieure haben Gemüse verkauft. Sie haben gearbeitet wie die Verrückten“, sagt der Monsignore. „Sie haben jeden Job angenommen – als ob sie Castro etwas beweisen müßten.“

Die Rhetorik von der baldigen Rückkehr gaben sie nie auf, aber gleichzeitig begannen die Exilkubaner, in Miami das zu errichten, was sie für das „alte, gute Kuba“ hielten. Kein gewöhnliches Einwandererviertel, sondern eine boomtown mit ideologischer Konformität, Statusbewußtsein

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und Marktwirtschaft pur. Wenn Castro schon die Frechheit besaß, in Sichtweite der USA eine sozialistische Gesellschaft zu etablieren, dann wollten die Exilkubaner in Sichtweite Castros die kapitalistische Modell-Enklave errichten. „Es ist schon komisch, daß diese Latino-Katholiken den Anglos so richtig vorgemacht haben, was protestantische Arbeitsethik ist“, sagt der Katholik Bryan Walsh und gluckst wieder einmal belustigt.

Die Exilkubaner haben den American dream nicht nur wirtschaftlich verwirklicht, sondern auch politisch. Sie stellen heute den Bürgermeister, den Gewerkschaftschef, besetzen wichtige Posten in der Verwaltung und Sitze im US-Repräsentantenhaus. Für andere Gruppen ist diese Erfolgsgeschichte eher ein schlechter Traum. Das Verhältnis zu anderen lateinamerikanischen Einwanderergruppen ist gespannt – mit Ausnahme der antisandinistischen Exilanten aus Nicaragua. Der Anti-Castroismus überschattet alles.

Die Beziehungen zur zweiten großen Flüchtlingsgruppe der letzten Jahre, den Haitianern, zeichnet sich durch gegenseitiges Mißtrauen und Sprachlosigkeit aus – und durch die krasse, rassistische Hierarchie in den USA bei der Behandlung kubanischer und haitianischer Flüchtlinge. Seit dem „Cuban Refugee Adjustment Act“ von 1966, dessen Verabschiedung im US-Kongreß Bryan Walsh mit anderen vorangetrieben hat, ist die Aufnahme und Eingliederung kubanischer Flüchtlinge nur noch Formsache. Walsh hat das nie als ideologisches Präferenzprogramm verstanden, sondern als notwendige Integrationsmaßnahme für Leute, „die ohnehin hierbleiben“. Seit ein paar Jahren müht er sich nun ab, auch die Haitianer in diese Gesetzgebung zu integrieren. Doch die werden, weil sie schwarz sind und nicht vor kommunistischen, sondern kapitalistischen Diktatoren geflohen sind, von der US-Küstenwache nicht nach Miami, sondern nach Haiti zurückgebracht.

Die größten Spannungen aber herrschen zwischen der kubanischen und der afroamerikaischen community. Die alles dominierende Präsenz der Kubaner hat die Schwarzen in Miami um jenen politischen Machtgewinn gebracht, den sie nach der Bürgerrechtsbewegung in anderen Städten erzielten. Aus einer von Weißen dominierten Stadtverwaltung wurde dort eine zumindest zum Teil schwarze Stadtverwaltung. In Miami ging die weiße Übermacht nahtlos über in eine kubanische.

Dieser Konflikt eskalierte 1990 anläßlich des Besuchs von Nelson Mandela in Miami. In anderen US- Städten wie ein Ehrenbürger empfangen, wurde der ANC-Führer in Miami Zeuge eines in seinen Augen vermutlich bizarren Schauspiels. Vor dem „Miami Beach Convention Center“, in dem Mandela seine Rede halten sollte, paradierten fünf Stunden hintereinander weg: Jüdische Demonstranten gegen Mandela, jüdische Demonstranten für Mandela, ein paar weiße Rassisten, rund 3.000 afroamerikanische Mandela-Anhänger und rund 300 Kubaner, die sich vor Wut die Stimme aus dem Leib brüllten, weil sich Mandela mehrfach solidarisch mit Fidel Castro gezeigt hatte – und vice versa. Als einzige Stadt auf der USA-Tour des Südafrikaners weigerte sich Miamis kubanisch-stämmiger Bürgermeister, Mandela zu ehren.

Afroamerikanische Organisationen initiierten landesweit einen Fremdenverkehrsboykott gegen Miami. Er dauerte drei Jahre und brachte die Stadt um Einnahmen in Höhe von 50 Millionen Dollar, weil zahlreiche Organsationen und Verbände Konferenzen, Jahresversammlungen und Festveranstaltungen in Miami stornierten. Anfang dieses Jahres einigte man sich gütlich. Am Ende ging es weniger um Nelson Mandela als um ökonomische Diskriminierung: Die Stadt sicherte der afroamerikanischen community Stipendien, Ausbildungsplätze und Umschulungsprogramme für AfroamerikanerInnen zu – und eine Ehrendeklaration für den ANC-Führer. Es ist gut möglich, daß den meisten Miami-Kubanern Mandela und seine Politik herzlich egal sind. Der Affront gegen ihn war ein Machtdemonstration des politischen Establishments der Exil-Kubaner, nicht ihrer Mehrheit. Gegen dieses Establishment die Stimme zu erheben ist immer noch mit persönlicher Gefahr verbunden. Dialogbereitschaft mit Fidel Castro ist in „Little Havanna“ gleichbedeutend mit Verrat.

Der Monsignore ist einer dieser dialogistas. Das Embargo der USA gegen Kuba, das nun, nach dem Niedergang des Hauptsponsors Sowjetunion, dramatische Folgen für das Land hat, lehnte er von Anfang an ab. Er mag die Sprüche eines Arturo Cobo ebensowenig wie die der Hardliner-Clique um Jorge Mas Canosa, Geschäftsmann und Führer der erzreaktionären „Cuban American National Foundation“ (CANF), die sich seit Jahren als alleinige Sprecherin der Exilkubaner in Miami und als zukünftige Machtelite in einem Kuba nach Castro geriert. Als Feind gilt, wer sich für die Aufhebung des Embargos, für Gespräche mit Castro ausspricht oder auch nur einen Fuß auf kubanischen Boden setzt, solange der lider regiert.

Heute werden allerdings nicht mehr so viele Killer angesetzt wie vor zehn, fünfzehn Jahren. Weil sie zu einem Dialog mit dem Castro- Regime nach Havanna gereist waren, um über die Freilassung politischer Gefangener und Erleichterungen im Reiseverkehr zu verhandeln, wurden 1979 die beiden Exilkubaner Eulalio Negrin und Carlos Muñiz in den USA von einem Terrorkommando der exilkubanischen „Omega 7“ erschossen. Andere Mitgliedern der Delegation, die sich „Komitee der 75“ nannte, mußten die amerikanische Polizei ins Haus bitten, um Bomben entschärfen zu lassen. Dies war das Ende des ersten und bislang letzten ernsthaften Dialogversuchs zwischen Exilkubanern und der Regierung in Havanna.

Aber ab und zu gehen doch noch Bomben hoch. 1988 zum Beispiel, im Haus der Universitätsprofessorin Maria Christina Herrera, die Akademiker, Politiker und den Monsignore zu einer Diskussion über „USA-Kuba: Eine neue Perestroika?“ eingeladen hatte. Die Debatte dauerte bis in die frühen Morgenstunden. Dreißig Minuten, nachdem die Gäste das Haus verlassen hatten, explodierte der Sprengsatz in Herreras Garage. Mas Canosa und seine CANF legen keine Bomben. „Aber“, sagt der Monsignore, „ihre Rhetorik schafft das Klima, in dem solche Attentate möglich werden.“

Der militante Anti-Castroismus trifft alle: Geschäftsleute, Akademiker, Aktivisten, Journalisten und Größen der Pop- und Schlagerszene. Heute noch steht Ruben Blades, Schauspieler und Musiker, auf der schwarzen Liste der Konzertagenten in Miami. Er hat erstens 1978 seine Großmutter auf Kuba besucht und zweitens die US-Invasion in Panama sowie die US-Hilfe für die nicaraguanischen Contras scharf kritisiert.

Im Februar dieses Jahres drangen drei Männer in das Studio des Radiosenders „Radio Progreso“ ein und verprügelten den Redakteur Fransisco Aruca, einen der Fürsprecher für engere Kontakte zwischen Havanna und „Little Havanna“. Im Sommer 1992, nachdem Mas Canosa eine militante Boykottkampagne gegen die Zeitung Miami Herald und deren spanische Ausgabe El Nuevo Herald losgetreten hatte, weil ihr Chefredakteur sich für die Aufhebung des Embargos ausgesprochen hatte, recherchierte erstmals eine Menschenrechtsorganisation in Miami. „America's Watch“ kam in ihrem Bericht zu dem Ergebnis, daß Miami für Verfechter der Meinungsfreiheit „ein gefährliches Pflaster ist. In ihrem Verhalten gegenüber Andersdenkenden gleichen viele Castro-Gegner jenem Regime, das sie so sehr verdammen“.

Eloy Gutierrez Menoyo war anfangs ein Volksheld in Miami – einer, der gegen Castro gekämpft hat und dafür ins Gefängnis gegangen ist. Ein hagerer Mann mit schmalem Gesicht und einer Stimme, die jedes einzelne Wort zur Deklaration machen kann. „Kuba ist wie schwankendes Schiff mit Millionen Kubanern an Bord und einem Kapitän namens Castro“, sagt er. „Entweder man versenkt es oder man sorgt dafür, daß es einen Hafen erreicht.“

Gutierrez Menoyo gehört zu denen, die die Perestroika nach Miami bringen. „Dialog“ ist eines seiner Lieblingsworte. „Die ganze Welt befindet sich im Dialog – von El Salvador bis zum Nahen Osten“, schreibt er in einem Kommentar des Miami Herald. „Warum nicht endlich auch die Kubaner?“ Die Hardliner-Fraktion würde ihn im Handumdrehen zermalmen, hatten ihm viele prophezeit, als er 1992 „Cambio Cubano“ gründete, eine Koalition für den friedlichen Wandel auf Kuba. Ein Jahr später sitzt er in seinem kleinen, schäbigen Büro und triumphiert in gebrochenem Englisch. „Wir sind immer noch da – ,alive and kicking‘.“

Vor zwei Monaten hat er in einem der besten Hotels von Miami einen grandiosen Auftritt zusammen mit einem anderen Exilanten, dem haitianischen Präsidenten Aristide, organisiert. Aristide hielt eine fulminante Rede in fließendem Spanisch, die rund 2.000 kubanische Gästen mit einer stehenden Ovation quittierten. In Washington plant Guttierez Menoyo die Gründung einer kubanischen Lobbygruppe, die die US-Regierung nicht zu einem Konfrontations-, sondern einem Dialogkurs gegenüber Havanna drängen soll. Ganz langsam, aber stetig, graben er und andere Gemäßigte Mas Canosa und seinen Mitstreitern das Wasser ab – in „Little Havanna“ und auf „Capitol Hill“.

Das Erfolgsrezept von Eloy Gutierrez Menoyo ist einfach: Er ist ein Idealist, der zuviel erlebt hat, um vor den Einschüchterungstaktiken der Hardliner noch Angst zu haben. Wie Castro hat er mit einer eigenen Guerillatruppe gegen den kubanischen Diktator Fulgencio Batista gekämpft – und anschließend gegen Fidel. 1965 wurde er in den Bergen von Escambray gefangengenommen. Die nächsten 22 Jahre verbrachte Gutierrez Menoyo in kubanischen Gefängnissen. „Es gab Zeiten“, erinnert er sich, „da haben sie keine einzige Rippe heilgelassen.“ Als er 1987 auf Vermittlung des spanischen Ministerpräsidenten Felipe González freigelassen wurde, hatte er die Sehkraft auf einem Auge fast völlig verloren. Seit einem Jahr nun bemüht sich Gutierrez Menoyo um nichts anderes, als mit dem Mann an einem Tisch zu sitzen, der das zu verantworten hat. Persönliche Gefühle? „Persönliche Gefühle spielen keine Rolle.“

Um an Fidel Castro heranzukommen, muß Gutierrez Menoyo möglicherweise erst Bill Clinton davon überzeugen, daß die bisherige Kuba-Politik der Embargostrategie nicht nur gegenüber den Kubanern unmenschlich ist. Sie kann sich auch für die USA zum Bumerang entwickeln. Denn wenn das Kalkül der Hardliner wirklich aufginge, wonach der totale wirtschaftliche und soziale Zusammenbruch zu einem bewaffneten Aufstand oder gar Bürgerkrieg auf Kuba führen wird, „dann können sich die USA nicht heraushalten, dann müssen sie intervenieren“. Wenn es dagegen auf dem Verhandlungsweg eine wirtschaftliche und damit auch eine politische Öffnung gäbe, „dann können die Kubaner ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen“.

Bill Clinton ist kein überzeugter Embargo-Anhänger; er ist politisch nur zu faul, solche Überlegungen anzustellen. Aus wahltaktischen Gründen hatte er im Herbst 1992 der CANF und Mas Canosa business as usual versprochen, um ihre Stimmen zu bekommen. Um den Präsidenten der Vereinigten Staaten auf ihre Seite zu bekommen, sagt Gutierrez Menoyo genüßlich, „müssen wir die Hardliner so weit wie möglich ins politische Abseits stellen“. Dann kramt er aufgekratzt in einem Papierstapel und zieht eine Umfrage der „Florida International University“ hervor. 56 Prozent, so das Ergebnis, sprechen sich mittlerweile für einen Dialog mit Castro aus. Eloy Guttierez Menoyo ist guter Dinge.

Magdalena Albarez residiert an der Calle Ocho, der 8. Straße in Miami, Hauptschlagader von „Little Havanna“. Die Straße ist eine Beleidigung für das Auge – aber betriebsam. Links und rechts reihen sich Tankstellen, Motels, Autohändler, Supermärkte, Wäschereien, Elektrogeschäfte und Restaurants aneinander. Häßlich flache Gebäude, eingerahmt von greller Leuchtreklame – typisch für ein Land, in dem die Kundschaft nicht mehr zu Fuß kommt, sondern aus dem Auto gelockt werden muß. Mittendrin sitzt Magdalena in einer kleinen Oase, ihrem Buchladen „Moderna Poesia“, einem zweistöckigen rundgeschwungenen Gebäude zwischen der 52. und 53. Avenue. Genau gesagt gehört der Laden nicht ihr, sondern ihrer Tante Joaquina López Serrano. Doch Tante Joaquina ist mittlerweile 78. Also überläßt sie den Laden ihrer Nichte, einer kleinen Frau mit ernstem, manchmal mürrischen Gesichtsausdruck.

Der verschwindet, wenn sie sich erst einmal warm geredet hat. Daß sie fast so breit wie hoch ist, verleiht ihr nichts Behäbiges, sondern jenen Pragmatismus und Realitätssinn, der der alten Dame offenbar fehlt. Tante Joaquina träumt von dem Tag, an dem sie nach Havanna zurückkehren wird, um ihre Liegenschaften, die Druckerei und den einstmals größten Buchladen Kubas wieder in Besitz nehmen. „Tante“, sagt Magdalena dann immer, „sei nicht naiv. Du wirst keine Straßenecke mehr wiedererkennen.“ Schon gar nicht das Lieblingsgrundstück aus dem Familienbesitz, auf dem nach der Revolution die sowjetische Botschaft errichtet wurde. Die ist mittlerweile ihrer ursprünglichen Bestimmung auch schon wieder enthoben. Wer hätte damals gedacht, daß Fidel nicht nur die Invasion des CIA, sondern auch die Sowjetunion überleben würde. Und am Ende sogar Tante Joaquina. Magdalena sagt von sich, sie sei „eigentlich kein politischer Mensch“. Zu den Auseinandersetzungen zwischen Exilfiguren wie Mas Canosa und Eloy Gutierrez Menoyo äußert sie sich lieber nicht. Aber zur Befindlichkeit der Exilkubaner im allgemeinen fällt ihr einiges ein.

Die martialische Vorfreude ihrer Landsleute auf den ihrer Meinung nach bevorstehenden Zusammenbruch des Castro-Regimes macht ihr Sorgen. Sie regt sich über die Radio-Talkshows in Miami auf, in denen Anrufer schon davon schwärmen, wie sie „Kuba wieder in Ordnung bringen werden“. Vor allem aber, wie sie als erstes ihren alten Besitz reklamieren werden. „Das kann man eigentlich nicht machen. Man kann denen, die jetzt dort wohnen, nicht dasselbe antun, was man uns vor 35 Jahren angetan hat“, meint Magdalena.

Ihr schwant bei aller gesamtkubanischen Rhetorik des politischen Establishments in Miami ein Bruder- und Schwesternkampf. „Das wird genauso wie bei Ihnen in Deutschland.“ Erst die Euphorie, dann die Ernüchterung, und schließlich die Verbitterung der armen und demotivierten Kubaner auf der Insel über die reichen Schreihälse und Besserwisser aus dem Exil – und umgekehrt. Verben wie abwickeln und gesundschrumpfen werden dann Konjunktur haben. Viele ihr Nachbarn auf der Calle Ocho, die jetzt schon den Verkauf ihres Grundstücks in die Wege leiten, um Stunden nach dem Sturz Castros in der ersten Maschine nach Havanna zu sitzen, werden, wie Magdalena prognostiziert, „schneller wieder da sein als sie sich träumen lassen“.

Ein zweites mariel könnte es geben – jene Massenemigration im Jahre 1980, als Castro 100.000 Kubanern die Ausreise gestattete und den damaligen Präsidenten Jimmy Carter in schwere Bedrängnis brachte. Es war ein Vorgeschmack auf Zeiten, in denen auf Kuba die Reisefreiheit eingeführt wird. Viele Kubaner wird dann nichts mehr in ihrer ökonomisch zerrütteten Heimat halten, wenn der Weg ins Land der angeblich unbegrenzten Möglichkeiten frei ist. Nur werden sie dann sehr schnell nicht mehr willkommen sein.

Magdalena Albarez wird nicht mehr zurückgehen. Mit 58 Jahren noch mal von vorne anfangen – nein, das ist ihr zu viel. Außerdem hat sie seit 1984 einen anderen Paß. Sie ist jetzt Bürgerin der USA.

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