Wie mimt man vorübergehend den Softie?

■ Der italienische Benimm-Lehrer Baldesar Castiglione über den schwierigen Versuch, Rowdies und Geschäftsleuten die gute Etikette nahezubringen

taz: Sie benützen als Pseudonym den Namen eines der berühmtesten italienischen Benimm-Lehrer aus dem 16. Jahrhundert, der dem aufstrebenden Bürgertum mit seinem „Cortegiano“ gutes Verhalten beizubringen versuchte, damals im Sinne des Humanismus ...

Baldesar Castiglione: Zwei Gründe: Da ich einer der wenigen bin, die meine lieben Landsleute recht pessimistisch einschätzen, was Benehmen angeht, und gleichzeitig im Geschäft bleiben muß, schadet mir der Klarname. Zweitens: Ich möchte bewußt an Castiglione anknüpfen, weil wir heute in einer ähnlichen Umbruchsituation leben wie seinerzeit, als die alten Herrschaftsstrukturen zerbrachen.

Daraus entstehen zwei Fragen: Warum ist die Kritik an Ihren Landsleuten so gefährlich, und, zweitens, was hat Benimm mit politischem Umbruch zu tun?

Zur ersten Frage: Italiener neigen, überwiegend jedenfalls, zu einer Art Unfehlbarkeit, vielleicht kommt das von der langen Anwesenheit der Päpste hierzulande. Jedenfalls kommen die zu mir, erzählen mir, wie sie sich verhalten, und wünschen, daß ich das als korrekt anerkenne. Bei der kleinsten Kritik gibt's Zoff. Das geht bis hin zu Ohrfeigen, die ich ab und zu kassiere, wie letzthin, als ich einem Kurs die italienische Unmanier austreiben wollte, sich nicht auf den Stuhl, sondern möglichst auf die Tischkante, Armlehne oder auf die Fensterbank zu setzen: Da ist einer aufgestanden, hat mir eine gefeuert und geschrien: „Du Arschloch hast ja überhaupt keine Ahnung, wie man sich lässig und erfolgreich gibt.“ Ecco. Eine Sisyphosarbeit, das.

Vielleicht hängt das mit der zweiten Frage zusammen, dem politischen Umbruch ...

Nein, derlei habe ich auch schon früher erlebt – die Leute kommen vor allem der Bestätigung wegen, damit sie hernach ihrer Freundin oder Frau oder dem Chef sagen können, schau, der Benimm-Lehrer hat's auch gesagt. Wirklich lernen wollen nur wenige. Als vor zwei Wochen Panorama mit einer Titelgeschichte über neue, „sanfte“ Annäherungsformen herauskam, wie sie die Mädchen und Frauen von heute wünschen, konnte ich mich vor Kurseinschreibungen gar nicht mehr retten – doch die meisten Rowdies wollten nur Tricks wissen, wie man vorübergehend den Softie mimt, um dann erst richtig loszulegen. Mit Umbruch hat das nichts zu tun. Dennoch spielt der politische Wirrwarr mit herein, wenn wir derzeit einen Boom in Benimm-Unterricht haben: Viele Geschäftsleute haben heute mit anderen Partnern zu tun als früher, viele können auch nur überleben, wenn sie mit Ausländern Kontakte pflegen. Und da ist dann auch gefragt, wie man sich vor den Geschäftsmenschen, gegenüber der eigenen Frau, dem Personal, den Angestellten verhält. Benimm als vertrauensbildende Maßnahme sozusagen.

Und da hilft Castiglione, der echte, ursprüngliche, heute noch?

Er hilft, er hilft. Nicht mit seinen höfischen Regeln von damals, wohl aber mit der Weisheit, daß eine neue politische Klasse oder Schicht die vorangehende nicht nur mit ökonomischen Mitteln aushebeln kann, sondern ihrerseits so etwas wie menschenzugewandtes, beziehungspflegendes, eben höfliches Verhalten jenen gegenüber zeigen muß, auf deren Hilfe sie bei ihrer Revolution angewiesen ist. Zumal wenn zumindest unsere italienische Revolution einigermaßen friedlich ablaufen soll. Interview: Werner Raith