AKW-Unfall in Rußland: Personal evakuiert

■ Schnelle Brüter von Belojarsk haben eine Vorgeschichte schlimmer Unfälle

Berlin/Moskau (taz/dpa) – In Belojarsk bei Jekaterinenburg im Ural hat sich am Donnerstag ein Atomunfall ereignet. In dem schnellen Brüter vom Typ BN600 ist nach Angaben der russischen Nachrichtenagentur ITAR-Tass aus einem Leck radioaktives Natrium 24 ausgetreten. Den Angaben zufolge wurde im Entlüftungssystem erhöhte Radioaktivität gemessen – und das heißt, daß aller Wahrscheinlichkeit nach Radioaktivität auch nach außen abgegeben wurde. Im schnellen Brüter wird Natrium als Kühlmittel im Primärkreislauf eingesetzt.

Die russischen Behörden stuften den Unfall als „unbedeutend“ ein (Stufe eins auf der Sieben- Punkte-Skala der Internationalen Atomenergieorganisation IAEO); es bestehe keinerlei Gefahr für das Personal oder die Umgebung. Immerhin mußte jedoch der Reaktor abgeschaltet und das Personal evakuiert werden. Ein Sprecher der IAEO, der keine näheren Informationen über den Unfall vorliegen, meinte, die Evakuierung sei vor allem wegen der Explosionsgefahr nötig gewesen. Natrium reagiert mit Flüssigkeiten explosiv. Die Einordnung des Unfalls als „unbedeutend“ nähmen die russischen Behörden selbst vor, das sei nicht Sache der IAEO.

Die Atomexpertin von Greenpeace, Inge Lindemann, erklärte, die IAEO könne sich nur auf die Angaben der staatlichen Behörden stützen. Oft sei der Organisation daher das Ausmaß eines Störfalls gar nicht bekannt, und Möglichkeiten zur Nachprüfung hat sie nicht. Gerade das Atomzentrum von Belojarsk hat einer noch nicht veröffentlichten Greenpeace-Untersuchung über die AKW in der ehemaligen Sowjetunion zufolge eine Vorgeschichte dramatischer Unfälle, bis hin zur Kernschmelze.

Auch in Block 3, in dem sich der jetzige Unfall ereignete, gab es zuvor schon zahlreiche Störfälle, bei denen Radioaktivität freigesetzt und Personen verstrahlt wurden. Der Reaktor sei weder mit einem Sicherheitsbehälter (Containment) noch mit Sicherheitsvorkehrungen für Störfälle ausgestattet. Im letzten Jahr sei der Brüter sogar nur knapp am GAU vorbeigeschrammt. Eine Delegation des Staatskomitees für Tschernobyl stellte 1992 extrem hohe Konzentrationen radioaktiver Stoffe, etwa Cäsium, in der Umgebung der Atomanlage fest – das russische Atomministerium wiegelte aber ab und sprach von angeblichen Meßfehlern.

Angesichts dessen, daß das Atomministerium auch schlimme Unfälle in der Vergangenheit immer verharmloste, meint die Greenpeace-Expertin, daß auch diesmal Skepsis geboten sei, wenn das Ministerium den Unfall als „unbedeutend“ einstuft. Daß sogar das Personal evakuiert werden mußte, sei beispielsweise „keineswegs normal“. lieb