„Das ist das Aus für Gorleben“

■ Niedersachsens Ministerpräsident Gerhard Schröder über die Chancen der Energiekonsens-Gespräche / Der Ausstieg aus der Atomenergie bleibt Streitpunkt

taz: Herr Schröder, sind Sie mit dem Ergebnis ihres letzten Konsensgespräches mit dem Bundesumweltminister zufrieden?

Gerhard Schröder: Ja, Herr Töpfer hat zugestimmt, daß es einer breiten gesellschaftlichen Mehrheit, konkret einer Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat bedarf, wenn es je einen kommerziellen Wiedereinstieg in die Kernkraftnutzung geben sollte.

Dann hätten wir also die schöne Zukunft ohne Atomstrom vor uns, und viele können aufatmen?

Ja, gegen das Nein der SPD zur Atomkraftnutzung wird es eine solche Zweidrittelmehrheit, die im Grundgesetz verankert werden muß, nicht geben.

Im Ernst – Ausstieg heißt ja Abschalten der Akw. Wann soll das denn nun geschehen?

Da liegen die Vorstellungen noch weit auseinander. Das geltende Atomrecht enthält ein Verbot der Befristung der Betriebsdauer von Atomkraftwerken, das will ich ändern.

Eine solche Befristung will Töpfer seit langem, auf real 60 Jahre. Ausstieg oder Auslaufen bis ans Ende ist doch die Frage. Welche Höchtsbetriebsdauer ist für Sie noch konsensfähig?

Meine Vorstellung dazu ist bekannt: 20 Jahre. Genauer darüber reden kann man erst, wenn ein klar finanziertes Programm zum Energiesparen und zur Nutzung regenerativer Energien vorliegt, das den Umstieg auf eine Energieversorgung ohne Kernkraft auf eine realistische Grundlage stellt.

Wie können Sie denn von Ausstieg reden, wenn die SPD gleichzeitig erstmals seit zehn Jahren wieder grünes Licht für den Bau eines neuen Reaktors geben soll?

Die Kernenergiedebatte findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern in einer konkreten Situation. Zur Zeit können soviele Reaktoren gebaut werden, wie sich dafür Betreiber finden. Eine bayerische Genehmigungsbehörde würde weder Sie noch mich fragen, ob wir einen neuen Reaktor von Siemens-Framatome akzeptieren. Ich plädiere dafür, überparteilich ein qualitativ völlig neues, viel höheres Sicherheitsniveau zu vereinbaren.

Dabei müssen Unfallauswirkungen, die über die Anlage hinausreichen, unwahrscheinlicher sein als ein Meteoriteneinschlag. Siemens will diese Sicherheitsanforderungen nicht erfüllen. Daß seitens eines Anlagenbauers offen Sicherheitsrabatte gefordert werden, halte ich in diesem Zusammenhang für eine bemerkenswerte Variante. Die SPD wird Rabatten jedenfalls nicht zustimmen.

Aber dieser Referenz- oder Fadenrißvermeidungsreaktor soll nur rechnerisch diese Kriterien erfüllen. Über die Rechnungen entscheidet die Reaktorsicherheitskommission, der viele mit Mißtrauen begegnen.

Ob der Referenzreaktor je gebaut wird, ist schon aus ökonomischen Gründen fraglich. Mir geht es darum, daß Forschung und Entwicklung nicht mit dem jetzigen Sicherheitsniveau weiterbetrieben werden können. Zur Zeit gibt es keine politische Definition dessen, was als Sicherheitsmaßstab gelten muß. Das entscheiden Techniker allein. Die RSK würde durch eine politische Festlegung erstmals gebunden.

Wenn der Reaktor überhaupt nicht gebaut werden soll, macht doch der ganze Konsens keinen Sinn.

Nochmal, ich biete eine Paktlösung über alle drei Themen der Energiepolitik an: Ausstieg aus der Atomkraft, Kohle- und Energiesparen, regenerative Energien. Meine Gesprächspartner müssen entscheiden, ob sie einen energiepolitischen Konsens mit der SPD wollen oder nicht.

Wenn sie ablehnen, dann wird die SPD deutlich machen, wer eigentlich Lösungen für die Zukunftsfragen dieser Industriegesellschaft verhindert.

Einen Fadenrißvermeidungsreaktor von 1.500 Megawatt als nichtkommerziellen Forschungsreaktor zu deklarieren, ist doch nur ein Konsenstrick.

Ein 1.500-Megawatt-Reaktor ist in den Gesprächen, die ich geführt habe, nie erwähnt worden. Es gibt für mich zur Zeit keinen Anlaß, sich mit einer derartigen Frage zu beschäftigen.

Ausstieg oder Wiedereinstieg – das bleibt die Frage. Sie wollen die meisten Wünsche der Akw-Betreiber erfüllen: Bestandsgarantie für fast alle alten Akw, Lösung der Entsorgungsfrage auf dem Papier und dann noch der Fadenrißvermeidungsreaktor.

Ihre Frage geht von einer falschen Realitätseinschätzung aus. Die Atomkraftwerke haben heute eine juristische Bestandsgarantie. In der Entsorgungsfrage hat Herr Töpfer bundesrechtliche Anweisungskompetenz, und nach geltendem Recht können mehr Reaktoren als ein Referenzreaktor gebaut werden.

Einige meiner Gesprächspartner hoffen sehr darauf, daß es keinen überparteilichen Konsens gibt, weil der sicherste Weg für weitere Atomkraftnutzung der ist, daß nichts geschieht.

Wie können Sie es etwa verantworten, daß künftig Zwischenlager für hochradioaktiven Müll als Nachweis für sichere Beseitigung des Mülls gelten sollen?

Faktisch ist es so, daß heute Zwischenlager die einzige Entsorgung darstellen, weil es Endlager nicht gibt. Ich habe dafür plädiert, dieses Faktum für eine Übergangszeit, bis ein Endlager zur Verfügung steht, auch juristisch anzuerkennen.

Sind die Sicherheitsbedenken der Landesregierung gegen Schacht Konrad nun plötzlich verflogen?

Nein, über Sicherheitsfragen entscheidet nicht die Politik. Ich habe aber immer gesagt, daß die SPD politische Verantwortung für die Entsorgung übernimmt, wenn damit nicht ein „weiter so“ verbunden ist.

Warum ein Moratorium bis zum Jahr 2005 für das Endlager Gorleben, warum nicht gleich das endgültige Aus?

Das ist das engültige Ende für Gorleben, denn Gorleben ist ungeeignet. Das wird sich am Ende bei einem Vergleich von Daten verschiedener Standorte schon ergeben. Ich fürchte einen solchen Vergleich nicht.

Was machen Sie, wenn der Bundesumweltminister eine Vereinbarung abschließt, die Regierungsfraktionen anschließend aber nicht das Grundgesetz ändern wollen?

Dann gibt es keinen Konsens.

Ihre Zugeständnisse bei Schacht Konrad und dem neuen Reaktor sind dann jedoch nicht mehr rückholbar.

Das ist ein Mißverständnis. Ein Zugeständnis bei Sicherheitsfragen bei Schacht Konrad gibt es nicht. Das gleiche gilt für das Sicherheitsniveau in Forschung und Entwicklung. Da gibt es nichts zurückzuholen, weil da nichts zugestanden wurde.

Für mich ist entscheidend, ob die Union bereit ist zuzugeben, daß ihr für eine Kernenergieausbauoption die gesellschaftliche Akzeptanz und die industriellen Partner fehlen.

Was halten Sie von dem Wort „Wiedereinausstieg“?

Ein Wortspiel, das die Sache nicht triftt. Ich will den Ausstieg – das Ziel ist nicht verhandelbar, nur der Weg dorthin. Interview: Jürgen Voges