„Haft bis zur Desintegration“

■ Neuer Prozeß gegen Rolf-Clemens Wagner begann / Ziel: Den schon 14 Jahre einsitzenden RAF-Mann weiter in Haft zu halten

Frankfurt (AP) – Das seit 14 Jahren inhaftierte RAF-Mitglied Rolf Klemens Wagner hat zu Beginn eines neuen Prozesses gegen sich die Bedingungen und Fortdauer der Haft für langjährige Gefangene der Roten Armee Fraktion scharf kritisiert. Den Antrag seiner Verteidigung auf Einstellung des Verfahrens lehnte das Frankfurter Oberlandesgericht am Freitag ab. Dem 49jährigen wird Beteiligung am Anschlag auf den damaligen Nato-Oberbefehlshaber General Alexander Haig im Jahr 1979 zur Last gelegt.

Die Verteidigung Wagners stellte in ihrem Antrag auf Einstellung des Verfahrens die Kronzeugenaussagen, auf denen die Anklage basiert, grundsätzlich in Frage. Die sogenannten RAF- Aussteiger, die in der DDR untergetaucht waren, würden sich in ihren Aussagen nur gegenseitig bestätigen und seien daran interessiert, die eigene Strafe zu mildern. Sachbeweise für eine Beteiligung Wagners an dem Haig-Attentat lägen nicht vor.

Wagner sprach vor Gericht von „anderen als juristischen Gründen“ für den neuen Prozeß gegen ihn. Denn obwohl der Vorsitzende Richter beantragt habe, das Verfahren einzustellen, unter anderem weil Wagner bereits zu Lebenslänglich verurteilt sei, habe die Bundesanwaltschaft das Verfahren durchgesetzt. Der Staat wolle „Haft bis zur physischen Desintegration“, erklärte Wagner. Bei der seit mehr als 20 Jahren inhaftierten Irmgard Möller beispielsweise sei das Immunsystem zusammengebrochen. „Was wollen die von der Frau. Sie muß sofort raus“, sagte der 49jährige sichtlich bewegt.

Nach 14 Jahren Haft, zehn davon in Isolation, habe auch er keine Reserven mehr gegen systematische Streßerzeugung. Er fürchte sich, daß „man die paar Gedanken, die man noch hat, nicht mehr aufs Tapet bringen kann“. Ungeachtet der Haftbedingungen würden die Gefangenen nicht aufgeben und sich „immer auch den revolutionären Bezug offenhalten“. Auf den Protest des Angeklagten, daß ihm zum Transport vom Gefängnis zum Gericht eine blickdichte Brille aufgesetzt worden sei, ordnete der Vorsitzende Richter Dieter Adam an, dies abzustellen.

Bundesanwalt Bell bezeichnete die von der Verteidigung geäußerten Bedenken an der Glaubwürdigkeit der Kronzeugen vor Gericht als „zum Teil sicherlich beachtlich“. Das Gericht habe aber die Möglichkeit, die Aussagen der RAF-Aussteiger selbst zu beurteilen. Bislang sind als Zeugen die wegen des Haig-Anschlags bereits verurteilten Silke Maier-Witt, Henning Beer, Susanne Becker, geborene Albrecht, und Werner Lotze geladen.

Den neuen Prozeß gegen Wagner hatte die Bundesanwaltschaft bereits bei Vorlage der Anklageschrift im vergangenen Jahr mit einer möglichen Haftverschonung in Zusammenhang gebracht. Wenn bei lebenslang verurteilten Gefangenen nach 15 Jahren Haft über die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung entschieden werden müsse, sei das Kriterium der „besonderen Schwere der Schuld“ von entscheidender Bedeutung. Wichtig sei, ob mehrere Morde begangen und der Täter die Taten eigenhändig ausgeführt habe.