Im Spagat kommt man nicht voran

■ Professor Wilhelm Heitmeyer vom Zentrum für Kinder- und Jugendforschung an der Uni Bielefeld über die Ethnisierung sozialer Probleme – und über den „normalen“ Fremdenhaß

taz: Über jugendliche Gewalt und die Ausbreitung rechtsradikaler Orientierungen wird nun schon seit einigen Jahren geforscht. Gibt es signifikante Veränderungen?

Wilhelm Heitmeyer: Es gibt eine Normalisierung von Fremdenfeindlichkeit bei Jugendlichen und Erwachsenen. Alle Untersuchungen zeigen, daß etwa 20 Prozent der westdeutschen Bevölkerung und 40 Prozent in Ostdeutschland Ausländer im Land „nicht in Ordnung finden“. Es gibt inzwischen eine massive Ethnisierung sozialer Probleme.

Außerdem zeigt sich, daß die meisten fremdenfeindlichen Aktivitäten in Cliquenzusammenhängen begangen werden. Skinheads sind ebenso wie organisierte Rechtsextreme weit weniger bei den Straftaten vertreten. Ihre Angriffe zeichnen sich allerdings durch eine besondere Brutalität aus. Diese Gewaltbereitschaft kommt immer häufiger aus sozial akzeptierten gesellschaftlichen Bereichen. Die meisten Täter kommen nach unserer Untersuchung aus dem aufstiegsorientierten Milieu. Am zweithäufigsten waren die Jugendlichen aus dem traditionslosen Arbeitermilieu beteiligt.

51 Prozent der Deutschen begrüßen die Parole „Deutschland den Deutschen“. Ist dies das tatsächliche Potential rechtsradikaler Parteien?

Rechtsextremistische Parteien können derzeit nur kleine Teile ihres Potentials mobilisieren. Eine Untersuchung von Richard Stöss zeigt: Personen mit fremdenfeindlichen und rechtsextremistischen Orientierungen wählen mehrheitlich Unionsparteien und an zweiter Stelle die SPD. Beruhigungsformeln sind also fehl am Platze, zumal die Erosion der Mitgliedschaft und der Anstieg der Nichtwähler für zusätzlichen Druck sorgen. Tatsächlich haben sich hier Einstellungen verfestigt, die über das Denkzettelverhalten hinausgehen.

Die SPD kann damit nicht umgehen. Während die einen dafür plädieren, den Stimmungen wie etwa in der Asylfrage teilweise nachzugeben, glauben die anderen, daß Nachgeben erst recht rechtsextreme Parteien stärkt. Wie kann eine Massenpartei unterschiedliche Potentiale integrieren?

Hier zeichnet sich ein Ende der Volksparteien ab. Solch ein Spagat ist relativ unbequem, und man kommt im Spagat nicht voran. Alle bedienen zu wollen, führt in der Regel dazu, daß sich niemand mehr bedient fühlt. Ich glaube nicht, daß die frühere Bindungskraft der SPD rückholbar ist.

Können Sie einem Politiker, der Sie um Rat bittet, politische Konzepte gegen den Ruck nach rechts anbieten?

Wenn Menschen aus gewohnten Beziehungen herausfallen, dann suchen sie sehr schnell nach Möglichkeiten, wieder dazuzugehören. Drei Strategien werden derzeit diskutiert. Erstens die Integration durch eine Ausweitung des Marktes. Das bedeutet, daß man eine Radikalisierung der kapitalistischen Marktgesellschaft befürwortet, eine Anheizung der Produktion, in der Hoffnung, daß sich jeder durch effektive Arbeit in der Konkurrenzgesellschaft seine soziale Plazierung erkämpft. Als zweiter Ausweg werden strengere Erziehung und Kontrolle favorisiert. Aus unserer Untersuchung geht hervor, daß strenge Erziehung und Gewalt eng miteinander zusammenhängen. Brisant wird es auch dort, wo inkonsistentes Erziehungsverhalten dominiert, wo Beliebigkeit Trumpf ist.

Das dritte Konzept verfolgt Reintegration durch Ausschluß – also Grenzen dicht und weiter mit der Nichtanerkennung der hier schon lebenden Ausländer.

Es hat viele Demonstrationen, Lichterketten und Konzerte gegen Rassismus gegeben. War alles umsonst?

Man muß als schmerzliches Beispiel auf die französische Bewegung „SOS-Racisme“ hinweisen. Diese Bewegung ist an vielen Stellen am Ende. Dieses Beispiel zeigt, daß ein pathetischer und emotional vorgetragener Antirassismus in einer diffusen, sich entideologisierenden Umwelt keine großen Wirkungen mehr erzielen kann. Meine These ist, daß die rechtsextremen politischen Orientierungen nicht in erster Linie durch die politisch ideologische Beeinflussung entstehen, sondern in den Alltagsprozessen der Jugendlichen.