Drei Tage lang fahndeten Soziologen und Berufsjugendliche nach den Ursachen für Fremdenhaß und Rassismus. Über dem Debattenzirkel schwebte ein einigendes „Schluß mit dem Gerede vom normalen Nationalismus!“ Aus Bielefeld Walter Jakobs

Keine Schönhuber-Diktatur in Sicht

Der frühere hessische Kultusminister Ludwig von Friedeburg widersprach heftig. Nein, so düster wie der Bielefelder Pädagoge Wilhelm Heitmeyer die Lage der zentralen Institutionen in der deutschen Gesellschaft gezeichnet habe, so düster sei sie in Wirklichkeit gar nicht.

Das „Katastrophen-Szenario“ sei fatal, weil es Möglichkeiten der Gegensteuerung vernachlässige und verdecke, daß die „zentralen Institutionen heute ihrer Absicht nach völlig anders“ handelten als beispielsweise am Ende der Weimarer Republik. Für Heitmann ergibt sich die Gefährlichkeit der heutigen Situation daraus, daß die Desintegrationsprozesse im Kern der Gesellschaft einerseits fremdenfeindliche Gewalt hervorbringen. Und auf der anderen Seite würden die Institutionen, die vorgeben, dem entgegen zu wirken, gleichzeitig paralysiert.

So aktivierten etwa die Gewerkschaften in Deutschland verbal ihre humane Tradition gegen Fremdenhaß und Rassismus, aber die Angst vor Mitgliederverlusten setzten solchem Engagement gleichzeitig Grenzen.

Ein ähnliches Muster existiere in der Wirtschaft. Zwar müsse diese allein schon wegen ihrer Exportchancen Fremdenfeindlichkeit verurteilen. Aber gleichzeitig verursache sie andererseits wegen ihrer instrumentalistischen Effizienzkriterien immense soziale Folgekosten – und immer neue Desintegration.

Angesichts der diffusen politischen Befindlichkeit im Lande kämpft auch der Bielefelder Historiker Hans-Ulrich Wehler mit „beklemmenden Gefühlen“. Zwar drohe unmittelbar „kein Absturz in eine Schönhuber-Diktatur“, aber Wehler fürchtet, daß sich die „Erfolgsgeschichte“ des deutschen Nationalismus als „Integrationsideologie“ wiederholen könnte. Es gehe darum, sich dem Gerede vom „normalen Nationalismus“ entgegenzustellen, denn „es ist schwierig, das Normale am Nationalismus zu erkennen“. Alle Nationalismen seien gespickt mit „giftigen Feindideen“. Die 200 Jahre alte Geschichte des deutschen Nationalismus zeige, daß „die Beschwörung der nationalen Größe und die Ausgrenzung der inneren Feinde“ in wirtschaftlichen Krisenzeiten immer an Heftigkeit zugenommen habe. Wehler warb dafür, den Begriff Nation im Sinne der Staatsbürgergesellschaft rational zu besetzen. Wie schwer das ist, weiß Wehler selbst. So habe ihm in Ostdeutschland vor kurzem ein junger Mann vorgeworfen, mit seiner Ablehnung des deutschen Nationalismus „das einzige zu verraten, was uns noch verbindet“.

Was kann Aufklärung, was kann Sozialpädagogik gegen die Zwillingsschwester des deutschen Nationalismus, den Fremdenhaß, ausrichten? Nach Auffassung von Kurt Möller, Lehrer und Forscher an der Esslinger Fachhochschule, nicht viel, solange „wir mit Pädagogik auf Politik reagieren“. Gefragt sei eine „politische Pädagogik“, die sich um Durchsetzung struktureller Veränderungen im unmittelbaren Lebensbereich ihrer Klientel bemühe: Möller wörtlich: „Wenn wir sagen, der Rechtsextremismus stammt aus der Mitte der Gesellschaft, dann können wir ihn nicht am Rande bekämpfen.“

Aus dieser Mitte drohen im kommenden Superwahljahr immense zusätzliche Gefahren. Noch während der drei Tage dauernden Diskussion über Rechtsextremismus und Gewalt entand aus den Kreisen der beteiligten Hochschullehrer eine Initiative zur Mäßigung der erwarteten Wahlkampfschlachten. In einem offenen Brief werden die politischen Parteien aufgefordert, „ihre Wahlkämpfe so anzulegen, daß jede Ermutigung und Legitimierung von Fremdenfeindlichkeit ausgeschlossen ist“. Derzeit bestehe vor allem die Gefahr, daß die „Ausländerkriminalität“ zu einem beherrschenden Thema gemacht werde.

Wenn die etablierten Parteien den Thesen des Wahlforschers Schacht folgten, erlägen sie nicht der Versuchung, ethnische Gefühle zu instrumentalisieren – schon aus nacktem Eigeninteresse. Schacht wörtlich: „Der größte Fehler liegt in der Anpassung der großen Parteien an die Themen der Rechten.“ Die einzigen Profiteure seien die Rechten. Dennoch befürchtet Schacht, „daß die Wahlstrategen im nächsten Jahr genau diesen Fehler machen werden“. Zwischen Ost und West gibt es nach Schacht signifikante Unterschiede im Rechts-Links-Schema. Während sich im Westen 22,1 Prozent der Bevölkerung selbst als rechts einschätzten, seien dies im Osten nur 12,5 Prozent. Als links bezeichneten sich demgegenüber 46,6 Prozent der Ossis und nur 33,1 Prozent der Wessis.

Eine zentrale Institution der deutschen Gesellschaft droht vollends in die Hände der Rechten zu fallen – die Bundeswehr. Befragungen unter Jugendlichen, so hat das sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr herausgefunden, weisen auf die „Gefahr“ hin, „daß die Bundeswehr zunehmend für junge Männer attraktiv ist, die den demokratischen Prinzipien kaum oder gar nicht verbunden sind“.