Aids-Blutaffäre – eine Groteske

■ BGA-Vize Welz: Alles ein mathematisches Problem / Seehofer kündigt Betroffenen-Hilfsfonds an

Bonn (taz) – Endlich fließt das Geld – zwei Tage nachdem in der Aids-Blutaffäre die Köpfe gerollt sind. Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) hat gestern endlich finanzielle Hilfsmaßnahmen für die Betroffenen in Aussicht gestellt. Mit Hilfe der Pharmaindustrie, Bund, Ländern und des DRK soll ein Hilfsfonds eingerichtet werden. Die Höhe bezifferte Seehofer auf lediglich zehn Millionen Mark.

Die mit Spannung erwartete gestrige Sitzung des Gesundheitsausschusses im Bundestag brachte keine Klarheit im Streit um die Geheimliste von 373 angeblich unterschlagenen Fällen von HIV-Infektionen durch Blut und Blutprodukte. Die Affäre wird statt dessen immer grotesker. Deutlich wurde, daß sich das Bundesgesundheitsamt (BGA) in einem desolaten Zustand befindet. Dort hielt man es nicht für notwendig, die dem Arzneimittel-Institut offiziell gemeldeten 373 Verdachtsfälle von HIV-Infektionen durch Blutkonserven an das Ministerium weiterzuleiten. Die Fälle seien prinzipiell bekannt gewesen, sie tauchten in den amtlichen Statistiken auf, könnten auch auf Nachfrage eingesehen werden, sagten die BGA-Beamten. Besonderes Gewicht sei ihnen nicht beigemessen worden. Vollkommen unklar blieb, weshalb der gefeuerte BGA-Präsident Großklaus ausgerechnet am vergangenen Dienstag plötzlich die Notwendigkeit sah, den Gesundheitsminister zu informieren – wenn doch alles schon bekannt war. Man habe jedenfalls, so BGA-Vize Joachim Welz, die Zahlen nicht absichtlich zurückgehalten. Gleichzeitig räumte Welz aber ein, die „politische Brisanz“ nicht richtig eingeschätzt und „mangelnde Sensiblität“ bewiesen zu haben. Worin die Brisanz der Zahlen denn nun eigentlich lag, vermochte indes niemand zu sagen. Seehofer sagte, nicht die Menge der nun bekanntgewordenen 373 Fälle sei brisant, sondern die mangelnde Einordnung und Information. Zwar seien lediglich zwölf infizierte Konserven nach Oktober 1985 verbreitet worden – jenem Zeitpunkt, wo endlich der HIV-Test für alle Blutkonserven eingeführt wurde. Die 12 Fälle jedoch hätten unbedingt in seinen letzten Bericht über die Bluter mit aufgenommen werden müssen. Gleichzeitig erklärte Seehofer, daß die Affäre keine neuen Risiken bei Blutübertragungen zutage gefördert habe. Die bisherige Einschätzung des Restrisikos müsse nicht korrigiert werden.

Nach der Darstellung von Welz ist die ganze Affäre ein mathematisches Problem. Wie in der Mathematik könne man bei der Statistik der HIV-Infektionen zu unterschiedlichen „Teilmengen“ gelangen. Welz blieb die Erklärung schuldig, weshalb man vor einigen Tagen eine neue Teilmenge entdeckt hatte, die die 373 Fälle mitteilungswürdig machte.

Trotz der von ihm hart bestraften Versäumnisse, nahm Gesundheitsminister Seehofer nicht nur sich selbst, sondern auch die BGA-Beamten in Schutz. Er unterstelle ihnen weder „Inkompetenz“ noch „Böswilligkeit“. ja

Siehe Kommentar Seite 10