Rebellen in der Statt Partei

■ Basis muckt gegen Abgeordnete auf / Mehrheit für Zusammenarbeit mit SPD / Von Uli Exner

Das Stimmungsbarometer zeigt Temperaturen deutlich unterm Gefrierpunkt: „Lieber Markus ...,“ versucht ein Statt-Partei-Mitglied seinen Vorsitzenden zu beruhigen, „Herr Wegner, bitte,“ donnert der Chef, der seine Parteigänger zuvor selbst häufig in der zweiten Person angesprochen hat, und droht: „Wenn wir hier das in Zweifel ziehen, was wir gemacht haben, wird die SPD nie wieder mit uns sprechen.“

Die erste Mitgliederversammlung der Statt Partei am Samstag. Keine Zeit zum Feiern, sondern für Grundsatzauseinandersetzungen einer Wählervereinigung, die zwischen Anspruch auf Basisbeteiligung, verbriefter Unabhängigkeit ihrer Abgeordneten und autoritärem Charakter ihres Gründers nach Halt sucht. Und die dabei recht schnell in altbekannte Polit-Mechanismen verfällt. Markus Wegner selbst erkennt drei Wochen nach dem Wahlerfolg „Strömungen, die sich gegenseitig bekämpfen“. Andere fordern „endlich ein Grundsatzprogramm“. Ein Neuling erklärt schließlich etwas resigniert: „Ich komme mir vor, wie bei den anderen Parteien“.

Den Anlaß dafür, daß die 186köpfige Basis im Bürgerhaus Wilhelmsburg weit davon entfernt ist, Schampus auf ihren glänzenden Wahlerfolg zu gießen, liefern zunächst jene sieben Bürgerschaftsabgeordneten, die neben Markus Wegner mit der SPD verhandelt haben. Ihre Berichte über die beiden Sondierungsgespräche mit Henning Voscherau hinterlassen nicht unbedingt den Eindruck, daß dort die Delegierten des bürgerlichen Protestpotentials eindrucksvoll ihre Stimme erhoben hätten. Brave Schüler treffen allwissenden Lehrer und lassen sich in die Geheimnisse der Politik einweihen. Das ist schon eher der Tenor.

„Unser großer Anspruch war objektiv zu hoch.“ „Es gab gar keine großen Schwierigkeiten.“ „Wir brauchen uns nicht vorwerfen lassen, nicht aufgeschlossen gewesen zu sein.“ „Voscherau hat uns zu Recht auf die Probleme des Regierens hingewiesen.“ Das waren nun wirklich nicht die Sätze, die Mitglieder hören wollten, die zur Statt Partei gekommen waren, „weil ich die Schnauze voll habe von der SPD.“ Protestgemurmel.

Forderungen nach größerer Beteiligung. Und nach weniger Unabhängigkeit für die eigenen Abgeordneten. „Ich will genau hören, was da geredet worden ist.“ „Wo sind die Punkte der Statt-Partei“, „Wir werden lächelnd aufs Kreuz gelegt“. Ein bitterer Verweis auf die FDP, „die gescheitert ist, weil sie ihre Oppositionsrolle nicht angenommen hat“. Einige Mitglieder fordern die sofortige Herausgabe zumindest der eigenen Verhandlungspapiere.

Zeit für Markus Wegner einzuschreiten. Zunächst noch sehr diszipliniert, bemüht er sich den Laden zusammenzuhalten, berichtet etwas detaillierter über die Verhandlungen. Verfassungsreform, Verwaltungsreform, weniger Senatoren, sparen, an diesen Grundsätzen wolle man auf jeden Fall festhalten, falls die Verhandlungen mit der SPD scheitern. Aber, und es wird schon etwas lauter: „Wir sind doch nicht die Fundamental-Oppositionisten.“ Die Beruhigungspille wird nicht von allen geschluckt.

Wenn wir für die Bürgerschaftsabgeordneten Einsicht in die Senatsakten fordern, um besser kontrollieren zu können, erhebt ein Statt Partei-Mitglied Widerspruch, dann sei es doch wohl nur logisch, daß die Parteibasis Einblick in die Verhandlungsunterlagen ihrer Abgeordneten fordert. Rebellen in der Stadt Partei.

Explosion: „Ich habe bei manchen Äußerungen das Gefühl, ich bin hier in der falschen Partei.“ Markus Wegner bebt. Die Basis versuche ihren Abgeordneten ideologische Zwänge überzustülpen. Kaum verhüllt die Vertrauensfrage. Die Mitgliederversammlung soll den Abgeordneten das Vertrauen aussprechen. Abstimmungsserie. Vertrauen? Einstimmig. Falls möglich weitere Verhandlungen mit der SPD? Nur 12 Gegenstimmen. Geheimhaltung der Verhandlungspapiere? Nur eine knappe Mehrheit, 56 Gegenstimmen. Wegner verzieht sich auf die Terrasse. Luft schnappen.

Bei der nächsten Mitgliederversammlung im November, erzählt ein Mitglied, werde man ja satzungsgemäß einen neuen Vorstand wählen, Wegner von seiner Mehrfach-Rolle entlasten und einen Parteivorstand als Gegengewicht zur Fraktion installieren. Dann, mit richtigen Parteistrukturen, würden sich die Gemüter schon beruhigen.