Stadtmitte: Senat als Wurmfortsatz des Kapitals
■ Warum die Stadt froh sein sollte, wenn die Investoren, denen der Senat den Potsdamer Platz auslieferte, mit der Aufgabe ihrer Vorhaben drohen
Das ist mal was ganz Neues: Sony droht, seine in Berlin geplante Europazentrale nicht zu bauen, wenn Senat und Bundesregierung nicht das tun, was Sony verlangt. Früher, zu Zeiten angewandter preußischer Haushaltsordnung, hätte ein Finanzsenator nicht lange gefackelt bei einer solchen Drohung. Er hätte sich erinnert, daß Sony als Erwerber öffentlicher Grundstücke verpflichtet ist aus den Kaufverträgen, die Investition vorzunehmen. Er hätte Sony aufgefordert, diese Verpflichtungen zu erfüllen. Und wenn Sony das nicht getan hätte, dann wäre das Grundstück zurückgefallen, ohne weiteres und ohne Sony eine Träne nachzuweinen.
Denn immerhin beträgt sein Wert heute ein Vielfaches des Preises, für den es an Sony einst verschleudert wurde. Und es wäre jederzeit jemand zu finden, der dort – an Stelle eines wirtschaftlich angeschlagenen Multis – in stadtverträglicher Weise investiert, ohne Drohungen und ohne Verlangen staatlichen Wohlverhaltens, wenn sich die Stadt nur den „Luxus“ gewissenhafter Auswahl leistete.
Früher, da hätte das auch alles seinen guten Grund gehabt: Ein Staat, so hätte man argumentiert, darf sich nicht erpressen lassen, schon gar nicht vom großen Kapital. Eine Stadt darf sich erst recht nicht erpressen lassen: Schon gar nicht darf sie sich in ihrem zentralen Bereich wesentliche Punkte ihrer Planung von einem multinationalen Konzern vorschreiben lassen.
Denn wir sehen ja jetzt, wie kurzatmig das Kapital funktioniert: Fallen hier ein paar Prozentpunkte Umsatzsteuerpräferenz weg und finden sich in der Tschechei Arbeitskosten, die einen Bruchteil der hiesigen ausmachen, bauen sie hier ganze Betriebe ab und dort wieder auf. Bis sich auch dort die Arbeitskosten erhöhen und hier vielleicht wieder ein paar Prozentpunkte Umsatzsteuerpräferenz abzuzocken sind und so weiter. Dann kommen sie zurück – wie die Fliegen auf die Scheiße. Die hier lebenden Menschen sind einem solchen Multi völlig egal, ebenso die hier arbeitenden Menschen. Abschreibungszeiträume von Maschinen betragen einige Jahre, von Häusern vielleicht ein Jahrzehnt, mehr nicht. Das ist der Maßstab stadträumlichen Interesses solcher „Investoren“, die doch in Wahrheit Abzocker sind.
Heute aber: Der Senatssprecher erklärt eil- und bußfertig, daß Sonys Drohung den Verlust von Arbeitsplätzen bedeuten kann. Er fordert die Bundesregierung auf, den Forderungen Sonys nachzukommen. Und jeder kann sich vorstellen, welche internen Anweisungen, Durchstellungen und Pressalien auf die mit der Genehmigung der Sony-Bauvorhaben befaßten Behörden ausgeübt werden, um den Berliner Teil der Sony-„Beschwerden“ in Sonys Sinne zu erledigen. Was schert da der Denkmalwert des Kaiser- Saals des Hotels Esplanade. Weg damit, wenn er Sony nicht in den Kram paßt! Nach dem kläglich gescheiterten Versuch, die Stadt an die Olympia-Gerontokraten zu verschachern, gebärdet sich der Senat jetzt als Wurmfortsatz des großen Kapitals und liefert die Stadt, ihre Entwicklung und ihr Zentrum heillos privaten Interessen aus.
So deutlich – wie jetzt bei der Sony-Drohung – kriegt man's vielleicht nicht immer zu sehen. Es funktioniert aber derzeit – im großen wie im kleinen – überall so. Der Staat ist nur noch Erfüllungsgehilfe privater wirtschaftlicher Macht. Nicht er kontrolliert die privaten Unternehmen, sondern sie geben die Richtung und die Geschwindigkeit der Stadtentwicklung an: Demokratie als Bauherr, dieses Prinzip ist bei diesem Senat auf den Müll der Geschichte geworfen. Jetzt ist allein das Kapital der Bauherr. Und neben ihm die kalten Krieger. Jony Eisenberg
Der Autor ist Rechtsanwalt und Mitglied des Aufsichtsrats der taz- Genossenschaft.
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