Braune Spots gratis

■ Für Abschaffung der Wahlwerbung fehlt politischer Wille

Rassistische, volksverhetzende Propaganda auf Staatskosten soll es in Funk und Fernsehen auch weiterhin geben. Das entschieden die Chefs der Staatskanzleien aller Bundesländer am vergangenen Donnerstag in Leipzig, wo sie die für den 27. Oktober vorgesehene Ministerpräsidentenkonferenz vorbereiteten.

Vor der Bundestagswahl und den vielen anderen Wahlen 1994, sagte der Hamburger Kanzleichef und Mediensenator Thomas Mirow auf Anfrage zu dem Beschluß, wolle man an der in den Rundfunkstaatsverträgen festgeschriebenen Wahlwerbung der Parteien nichts ändern. „Man darf nicht davor zurückweichen, daß sich die Rechtsradikalen an allem möglichen beteiligen.“ Ein Sieg der Demokratie also?

Eher im Gegenteil. Ebenfalls in Leipzig hatte Hitler 1930 vor dem Reichsgericht in seinem sogenannten Legalitätseid versichert, die NSDAP werde nur mit „verfassungsmäßigen Mitteln den Staat in die Form bringen, die unseren Ideen entspricht“. Daran erinnerte der Trierer Politikwissenschaftler Eckhard Jesse, als er zum 30. Januar dieses Jahres über „Streitbare Demokratie und Rechtsextremismus“ schrieb. Diese Legalitätstaktik der Nazis funktionierte, so Jesse, denn „ein seinerzeit weitverbreitetes formales Demokratieverständnis ließ es nicht zu, der propagandistischen Unterminierung der demokratischen Ordnung eine geistig-politische Auseinandersetzung im demokratischen Sinne entgegenzusetzen“.

Ist das heute tatsächlich anders? Während die Politologen ausdrücklich den Rechtsextremismus als antidemokratisch definieren, weil er „im Gegensatz zum Linksextremismus das Ethos der fundamentalen Gleichheit der Menschen in Frage stellt (= direkter oder indirekter Rassismus) und die eigene Nation als das Nonplusultra betrachtet (= Chauvinismus)“, so die Formulierung von Eckhard Jesse, weigern sich die Formaldemokraten unserer Tage, diese politisch entscheidenden Kriterien anzulegen. Die Juristen sind mit ihrem Latein schnell am Ende: Was legal ist, kommt auf den Sender, für die Inhalte sind sie nicht zuständig. „Demokratie ohne Wenn und Aber“, allerdings keine streitbare. Am besten gar nicht drüber reden, dann merkt's ja vielleicht keiner. Die Folgen sind drastisch: Dank prozeßfreudiger Legalitätstaktik von DVU, Reps und Co. kommt es zu immer mehr kostenlosen rechtsextremistischen Propaganda-Auftritten in Funk und Fernsehen, massenhaftem „direct mailing“ mit Hilfe der Post und Plakatkampagnen auf öffentlich verwalteten Werbeflächen im Revier von U- und S-Bahnen.

NDR-Intendant und ARD- Chef Jobst Plog trat im Juni die Flucht nach vorn an. Nachdem die formaldemokratisch begünstigte braune Propaganda im eigenen Haus auf wachsenden Widerstand stieß und zuletzt 450 NDR-Mitarbeiter in diesem Zusammenhang Arbeitsverweigerung avisierten, machte er folgenden Vorschlag: Um die Rechts-Spots loszuwerden, solle die Wahlwerbung der Parteien generell aus Funk und Fernsehen verbannt werden.

Mittlerweile befürworten dies zwar alle ARD-Intendanten, doch zeigen Parteien, Parlamente und Regierungen dazu wenig Bereitschaft. Zu groß ist das Eigeninteresse der Parteien. Nur Niedersachsens Gerhard Schröder und Bremens Oberbürgermeister Klaus Wedemeyer sind für die Streichung der Wahlspots. Als bisher einziges Parlament hat dies Ende September der Landtag in Hannover, der am 13. März neu gewählt wird, einmütig beschlossen.

Frei nach dem Motto: Wir lassen uns von ein paar Rechtsradikalen doch nicht unser Parteienprivileg kaputtmachen, wurden die Medienreferenten der Länder in den letzten Monaten in diversen Arbeitsgruppen damit beschäftigt, für die Leipziger Kanzleichef-Konferenz an der Quadratur des Kreises zu pusseln: „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß.“ Einigermaßen einmütig konnten sie nur eines ausmachen: Aus dem Grundgesetz können die Parteien einen Anspruch auf die öffentlich begünstigte Wahlwerbung nicht herleiten. Das Bundesverfassungsgericht traf kürzlich die gleiche Feststellung.

Doch dies besagt nur: Es wäre kein Verfassungsbruch, wenn die Länderparlamente den Parteien das Werbeprivileg, das sie sich mit den Rundfunkstaatsverträgen zugeschustert haben, wieder wegnähmen. „Abschaffen“, so Rundfunkreferent Matthias Knoteh aus Kiel, „ist allein eine Frage des politischen Willens.“ Doch daran fehlt's. Ulla Küspert