Denkübungen und Schauseiten

■ „Form + Zweck“, Zeitschrift für Gestaltung

Es ist mühsam, dem ökoblaßbunten Heft Überschriften zu entwinden. Und mühsam ist es, sich durch die Zeilen zu fressen, die eingestreuten und zersplitterten, durchweg mit großem Aufwand zusammengetragenen Bildsegmente zu sichten und schließlich Überdrucktes von Unterlegtem zu scheiden. Es ist mühsam – und immer spannend, eine wirkungsvolle Provokation für Augen und Hirn. Etwa, wenn auf der nächsten Seite gar alles quergestellt ist und die übernächste horizontale und vertikale Zeilen zum Text vernetzt. Sechzehn Stühle und sonst nichts – das wiederum bietet die darauffolgende Doppelseite. Möglichkeiten genug also, sich zwischen zwei zu setzen. Was „Form + Zweck“, die „Zeitschrift für Gestaltung“, und seine Herausgeber Angelika und Jörg Petruschat mit besonderer Vorliebe tun. Denn wenn die überaus sorgfältig gestaltete und produzierte Zeitschrift „zuerst ein Schauheft und dann ein Leseheft“ ist, wie die Grafikerin Daniela Haufe sagt, so heißt das nicht, daß die Texte nur Bildunterschrift wären, ganz im Gegenteil. Und wenn das fadengebundene Heft mit Avantgarde-Chic und typographischer Extravaganz nicht spart, so ist es entgegen seinem westlichen computer aided Design-Kleid überraschenderweise ein Fossil aus alten DDR-Zeiten.

Welche Herrlichkeit: „Form + Zweck“! Es hätte wohl kaum einen besseren Titel für eine DDR-Design-Zeitschrift gegeben. Bloß keine Form, die vom Zweck ablenken könnte! Das DDR-Design hatte „schlicht, anständig, gerade, ehrlich“ zu sein – bloß nichts „Hinzugeschwindeltes“. Dr. Martin Kelm, Designer, früherer Staatssekretär und Leiter des Amtes für industrielle Formgestaltung, bringt in der „Form + Zweck“ 1/1991 auf den Punkt, was sein einstiges Hausorgan früher zu beschreiben (und auch zu beschönigen) hatte.

Als Antwort auf die westdeutsche Designzeitschrift „Form“ war das Hausorgan des „Zentralinstituts für Gestaltung“, später dann des „Amtes für industrielle Formgestaltung“ seit 1956 die wegweisende Funktionärin. Obwohl als einzige Zeitschrift bis 1985 nicht dem DDR-Presserecht, und damit auch nicht der Weisungsbefugnis des Ministerrats, unterworfen, mahnte „Form + Zweck“ immer wieder den 1965 erlassenen Ministerratsbeschluß an: Die Gestaltung solle endlich in die Qualitätskontrolle und -entwicklung einbezogen werden. Das DDR-Produkt sollte und mußte um der Devisen willen international ansehnlich werden.

Design wurde in der DDR insofern positiv begriffen, als es dem Menschen zu dienen hatte und die Gesellschaft umgestalten sollte. Doch je weniger die angestrebte „Lebensgestaltung“ in der DDR- Mangelwirtschaft umgesetzt wurde, desto theoretischer, abstrakter wurde die Diskussion in „Form + Zweck“.

Jörg Petruschat lächelt, wenn er von der „Schattenfechterei“ zu DDR-Zeiten erzählt. Die DDR existiert nicht mehr; das DDR-Design: mit derselbigen verschwunden; das Amt für industrielle Formgestaltung: abgewickelt. Was also will die Zeitschrift auf dem gesamtdeutschem Markt? „Anfangs wollten wir ein Verständigungsorgan für Ost-Designer sein. Wir wollten Alternativen zum kurzlebigen, modernistischen West-Design entwickeln“, so das Ehepaar Petruschat, das bereits in den 80er Jahren in der „Form + Zweck“- Redaktion arbeitete. Eine Illusion. Die Ost-Designer erblickten ihre Retter während des Niedergangs der DDR-Industrie im Westen, Kritik am „Retter“ war nicht gefragt. Die unbequeme Kritikerin, die ab der zweiten Ausgabe wieder so ungeniert im DDR-lehmgrauen Fettflecken-Outfit erschien, wurde von den Altabonnenten postwendend stapelweise zurückgeschickt.

Seither hangelt sich die unregelmäßig und als Doppelheft erscheinende „Form + Zweck“ von einem selbstlosen Finanzier zum nächsten. Diese waren bisher: das Wirtschaftsministerium als Abwickler des Amtes für industrielle Formgestaltung; ein dubioser ehemaliger SED-Agit-Verlag (nun mit Porno- und Diabetiker-Zeitschrift im Verlagsprogramm), der Sonderfonds „Deutsche Einheit“, angegliedert dem Innenministerium, und das Bauhaus Dessau e.V. Seit zwei Nummern finanzieren Petruschats die Zeitschrift mit einer Auflage von 2.000 Stück über den freien Verkauf in Selbst- und Fremdausbeutung. Der Reiz, der zur Selbstausbeutung („eigentlich noch ein harmloser Begriff“, so Jörg Petruschat) zwingt, liegt in der Freiheit. In einem Verlag werde die (bisher anzeigenfreie) Zeitschrift unweigerlich zu einem Teil der Annoncenstrategie und müsse sich ins Verlagsprogramm einbinden lassen, so das Ehepaar. Sie verbinden lieber in völliger Souveränität Designtheorie mit ökologischem Anspruch, hinterfragen die Arbeit der Müllproduzenten von der Produktion bis zur Entsorgung und spüren der gestalteten Wirklichkeit in jeder Form nach. Heft 7/8 1993 (im 25. Jahrgang) durchforstet die Stadtarchitektur, Knut Hickethier lauscht den Radioprogrammen einer Stadt, die sich zur akustischen Stadtlandschaft verbinden. Die Gruppe Kunstflug erwehrt sich beispielhaft, nämlich anhand einer Toasterserie aus fünf Modellen, dem Dogma der Funktionalität. Cornelia Seidler betrachtet den Wandel des Frauenbildes anhand von Aschenbrödel-Illustrationen. Weiter wird die Zukunft des Raumes begutachtet, ebenso wie das virtuelle Wetter von Weathernews/Tokio und Designvorstellungen in Nicaragua. Friedrich Kittler ist ebenso im letzten Doppelheft vertreten wie Michael Brie. Es ist ein spannende Zeitschrift, die mehr ist als „sign“. Hier fragt das Zeichen nach dem Sein. Petra Brändle

„Form+Zweck, Zeitschrift für Gestaltung“. Fördergemeinschaft für Kultur und Kommunikation, Dorotheenstraße 4, 12557 Berlin, 32DM