Unterm Strich

Mit herzlichen Grüßen aus dem Irrenhaus! dringt folgendes zu uns von jenen tazlerInnen, die sich derzeit unter dem Vorwand der Unentbehrlichkeit auf der Messe in Frankfurt — wie wir ahnen, nur noch stammelnd & stolpernd — bewegen: Die gesichtete Prominenz verhält sich unauffällig und gesittet, Ulrich Wickert geht leicht vornübergeneigt, Cees Nooteboom macht trotz entgangenem Nobelpreis einen munteren Eindruck (während hingegen Harry Mulisch die erlittene fiktive Kränkung, den schwedischen Punsch nicht trinken zu dürfen, kaum zu verwinden scheint und sondermürrisch durch die Gänge wandelt), und sogar Sascha Anderson und Friedrich Schorlemmer, nebeneinander am selben Stand, machten keinen Skandal — wozu letzterer, den neuen Weihen des Handelspreises der deutschen Friedensindustrie gemach und selbstbewußt entgegenschreitend, ohnehin nicht mehr in der Verfassung ist: Still und allzu milde, dem Engel schon näher als dem Menschenwesen, ruht sein blauer Blick auf dem irdischen Treiben und läßt sich selbst durch den Genuß einer Bockwurst nicht ins Senfgelbe färben. Das Titanicfest war wie jedes Jahr überfüllt, und der diensthabende Literaturredakteur, von streng pazifistischer Einstellung, beklagte, daß ein Einberufungsbefehl nötig gewesen sei, um Einlaß gewährt zu bekommen — was nichts ausmacht, da es der Feste allzu viele gibt. Das ist auch nötig, denn mit ungetrübtem Blick entlarvt sich allzu schnell, daß beispielsweise in diesem Jahr die Redaktionen der Literaturbeilagen wirklich und restlos alle verfügbaren Zeichner aus dem tschechischen Raum abgegrast haben, auf daß diese mit wenig belangvollen, aber beziehungsreichen kleinen Zeichnungen die Konzentration auf die Texte erschweren, die sie so possierlich garnieren. Dabei darf nicht unerwähnt bleiben, daß der „Traum von Mitteleuropa“, der hier wie auf allen anderen Kongressen & Tagungen geistiger Provenienz der letzten Jahre heftig geträumt wurde, nun schon im zweiten Jahr eine Korrektur erfährt — der einzige, der dies offen aus- und ansprach, war der immer geistesgegenwärtige Timothy Garton Ash: auf einer Diskussionsveranstaltung des Frankfurter Palais Jalta zur Lage in Osteuropa, wo im übrigen Alain Finkelkraut in bewährter Weise Meinungen zum besten gab, die mit Wohlwollen allenfalls als unübersichtlich bezeichnet werden können.